Gemeinnützige Hertie-Stiftung:
Viele Abiturienten stehen aktuell vor der Herausforderung, sich beruflich zu orientieren. Die große Mehrheit beginnt ein Studium ohne Alternativen näher zu prüfen. Aus Sicht der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung könnte ein duales Studium oder eine Ausbildung für viele Absolventen zielführender sein und Enttäuschungen im Studium vermeiden. Dazu sollten auch Gymnasien verstärkt einen Beitrag leisten.
Mit der Vergabe der Abiturzeugnisse unmittelbar vor den Sommerferien hat für viele Abiturienten die Zeit der beruflichen Orientierung erst begonnen. Für die große Mehrheit ist ein Studium nach wie vor erste Wahl: Fast die Hälfte der Studienberechtigten beginnt bereits im Jahr des Schulabschlusses mit dem Studium (1). Demgegenüber bricht fast jeder vierte Studierende sein Studium ohne Abschluss vorzeitig ab. Aus Sicht der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, die sich für einen guten Übergang von der Schule in die berufliche Bildung engagiert, sollten Abiturienten intensiver auch Alternativen zum Studium prüfen.
„Viele Abiturienten beginnen vorschnell ein Studium und setzen sich erst danach mit dem Thema Berufswunsch auseinander. Ein häufiges Wechseln der Studienfächer ist dabei programmiert, immer öfter führt die mangelnde Auseinandersetzung mit den eigenen beruflichen Vorstellungen vor Studienbeginn auch zum Studienabbruch“, sagt John-Philip Hammersen, Geschäftsführer der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Vielen Studierenden fehle vor allem der Praxisbezug zu späteren beruflichen Einsatzfeldern. Hier könnten stärker praxisorientierte Ausbildungswege eine gute Alternative sein. Mit einem dualen Studium lassen sich Theorie und Praxis gut verbinden, ebenso mit einer Ausbildung, die auch einem Studium vorgeschaltet werden könnte.
Duales Studium: bis Anfang September bewerben für Start 2017 – Ausbildungsplätze auch kurzfristig noch zu besetzen
Sowohl für ein duales Studium als auch für eine Ausbildung ist eine erfolgreiche Bewerbung bei einem Unternehmen Voraussetzung. Das Ausbildungsjahr beginnt in den Unternehmen normalerweise zwischen dem 1. Juli und dem 1. September. Wer ein duales Studium beginnen möchte, muss sich daher vorher informieren, welche Unternehmen diesen Ausbildungsweg anbieten. In der Regel ist sowohl für eine Bewerbung um ein duales Studium als auch um eine Ausbildung ein Vorlauf von einem Jahr einzukalkulieren. In Ausnahmefällen können Ausbildungsplätze auch kurzfristig noch vergeben werden. „Während die Vorlaufzeit für den Erhalt eines Studienplatzes relativ kurz ist, müssen sich die an einem dualen Studium oder an einer Ausbildung Interessierten frühzeitig informieren und bewerben. Wer beispielsweise ein freiwilliges soziales Jahr nach dem Abitur anstrebt, sollte die Zeit bis zum Antritt des sozialen Jahres für mögliche Bewerbungen bei Unternehmen nutzen“, erklärt John-Philip Hammersen. Abiturienten, die nach dem Abitur direkt mit einem dualen Studium oder einer Ausbildung beginnen möchten, sollten schon während der Schulzeit aktiv werden.
Gymnasien: nicht nur Abschluss-, sondern auch Anschlussorientierung
„Es ist wichtig, dass schon in der Schule Impulse für die berufliche Orientierung gegeben werden. Insbesondere Gymnasien sind verstärkt gefordert, den Schülern Hilfestellung bei der beruflichen Orientierung zu bieten und über die verschiedenen Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung zu informieren. Dies geschieht bislang nur unzureichend. An Gymnasien herrscht nicht nur Nachholbedarf bei der allgemeinen Berufsorientierung und der Vernetzung mit Unternehmen – Ausbildungswege jenseits des Studiums werden zu häufig fast vollständig ausgeblendet“, sagt Hammersen.
„Neben die Abschlussorientierung muss bei Gymnasien gleichberechtigt die Anschlussorientierung treten. Diesen Anschluss müssen Schulen nicht allein organisieren, aber sie können in Kooperation mit außerschulischen Partnern beispielsweise durch Praktika, Mentoring- und Coaching-Modelle oder Bewerbungstrainings einen wichtigen Beitrag dazu leisten“, erklärt Hammersen. Schulen – vor allem Gymnasien – sollten ihre Bemühungen um eine gute Berufsorientierung daher verstärken, gleichzeitig aber auch möglichst neutral über die verschiedenen Wege in den Beruf informieren – sei es eine Ausbildung, ein Studium oder auch ein duales Studium.
Erkenntnisse aus Schulwettbewerb „Starke Schule“: Nicht-gymnasiale Schulen unternehmen bereits viel für berufliche Orientierung
Die Erkenntnisse aus dem von der Hertie-Stiftung initiierten bundesweit größten Schulwettbewerb „Starke Schule“ zeigen, dass an nicht-gymnasialen Schulen im Hinblick auf die berufliche Orientierung der Schüler bereits viel unternommen wird. Der Übergang ins Erwerbsleben wird hier als mehrjähriger, fächerübergreifender Prozess angelegt, der sowohl schulintern von Lehrern als auch schulextern von Berufsberatern und anderen Fachkräften begleitet wird. Kooperationen mit Betrieben spielen dabei ebenfalls eine zentrale Rolle.
Bei den Maßnahmen zur Berufsorientierung bei „Starken Schulen“ geht es um die Förderung sowohl der fachlichen und methodischen als auch der personalen und sozialen Kompetenzen der Schüler. Maßnahmen werden mithilfe von Berufsorientierungscurricula, Berufswegeplanungen und einem Berufswahlpass strukturiert.
Gesellschaft erlebt Trend zum Handwerklichen – Chancen für Schulabgänger
Nach Ansicht von John-Philip Hammersen sind die Zeiten des Studiums als Distinktionsmerkmal angesichts des inflationären Erwerbs von Studienberechtigungen ohnehin vorbei. „Unsere Gesellschaft erlebt in vielen Bereichen längst wieder den Trend zurück zum Handwerklichen. Könnerschaft und Spezialisierung stehen hoch im Kurs – Aspekte, die sich ohne Umschweife mit einer guten Ausbildung verbinden lassen. Es wird Zeit, dass sich die neue Crafts-Bewegung auch in den Bildungskarrieren der jungen Schulabgänger niederschlägt.“
(1) Quelle: Bildung in Deutschland 2016, unter Federführung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung