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LOG IN: 18 (1998) Heft 5Editorial

Editorial


Mobile Roboter auf dem Vormarsch

"Glauben Sie, daß Maschinen ein Bewußtsein haben können", war die Frage, die Joseph Weizenbaum kürzlich in einem Interview gestellt wurde. Und der engagierte Kritiker antwortete: "Ja, das glaube ich."

Weizenbaum, der in den 50er und 60er Jahren einer der führenden Persönlichkeiten der Computerforschung in den USA war, wurde 1976 unter anderem durch sein Buch "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In diesem Buch, das 1977 auf deutsch erschien, beschrieb er den "ELIZA-Effekt", mit dem er die Intelligenz des Computers als Mythos entlarvte: Menschen, die mit dem von ihm entwickelten Sprach-Analyse-Programm namens ELIZA umgingen, das eigentlich einen US-amerikanischen Psychotherapeuten parodieren sollte, bauten sehr schnell eine emotionale Beziehung zum Computer auf und schrieben ihm eindeutig menschliche Eigenschaften zu. Darüber hinaus wurde sein Forschungsansatz, nur zu bestätigen, daß der Kontext für das Verstehen einer Sprache äußerst wichtig sei, als allgemeine Lösung des Problems, inwieweit Computer eine natürliche Sprache verstehen könnten, völlig fehlinterpretiert.

Doch wie sieht ein solches Bewußtsein aus, das Weizenbaum auch Maschinen unterstellt? Hans Moravec, ein Vertreter gegenwärtiger amerikanischer Roboterforschung, hat sich 1988 in seinem Buch "Mind Children – The Future of Robot and Human Intelligence" mit einer Vision geäußert: "Heute sind unsere Maschinen einfache Geschöpfe. Wie jedes Neugeborene benötigen sie die Pflege und ständige Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Sie verdienen die Bezeichnung ,intelligent` kaum. Aber schon im nächsten Jahrhundert werden sie zu Wesen reifen, die so komplex wie wir sind und vielleicht alles Bekannte übertreffen. Wir können stolz sein, wenn sie von uns als ihre Vorfahren sprechen. Entfesselt vom schleppenden Gang der biologischen Evolution, werden die Kinder unseres Geistes frei sein, immense Herausforderungen im Universum zu bestehen." Weizenbaum hält Visionen dieser Art für Größenwahn: "Solche Visionen […] setzen das Ende der Menschheit voraus. In diesen Ansätzen zeigt sich eine Verachtung des menschlichen Wesens." Nichtsdestoweniger ist auch Weizenbaum der Überzeugung, daß Maschinen mit "Emotionen" und "Körpergefühl", also mit Bewußtsein konstruiert werden können, "aber das sind keine menschlichen Emotionen und das ist kein menschliches Körpergefühl. Obwohl diese Empfindungen menschlichen Empfindungen ähnlich sein können" – es sind eben maschinelle und vom Menschen als Modell von Bewußtsein erdachte Konstruktionen.

Die gegenwärtige Entwicklung der Erschaffung solcher Maschinen geht vor allem mit den Zielen der Volkswirtschaften in Nordamerika, Japan und der Europäischen Union einher: das Ersetzen von Erwerbsarbeit durch andere, von menschlicher Arbeitskraft unabhängiger Produktivfaktoren. Die treibende Kraft, hohe Arbeitskosten durch die Senkung der zur Verfügung stehenden Erwerbsarbeit auszugleichen, hat mittlerweile dazu geführt, daß selbst der als sprudelnde Einnahmequelle vielgepriesene Dienstleistungsbereich maschinisiert wird: Service-Roboter sind im Anmarsch. Und das ist wörtlich zu nehmen – Mobilität steht im Vordergrund. Vom Roboter, der einfache Botengänge ausführt, über denjenigen, der Mauern an einem Haus hochzieht bis zum Roboter, der Blumen zur richtigen Zeit pflücken kann, ist alles vertreten. Selbst das uns allen vertraute Auto, das im übrigen mittlerweile mit mehr Rechenkapazität ausgestattet ist als die erste Mondlandefähre, ist nicht nur mehr eine Fortbewegungsmaschine, sondern zu einem Kommunikationsgerät geworden.

Die Verbindung mobiler Roboter mit Wissensdatenbanken und Informations- und Kommunikationstechniken ist die eigentliche technische Entwicklung, die die Visionen Hans Moravecs beflügelt haben. Und diese Entwicklung steht im wahrsten Sinne des Wortes vor unserer Tür. Dabei geht diese Entwicklung mit einer Wandlung kapitalistischer Strukturen in ein neues plutokratisches Feudalsystem einher: dem Shareholder-System. Hier liegen Chancen und Gefahren dicht nebeneinander.

Thomas Christaller, der Leiter des GMD-Instituts, in dem ein Roboter namens "Sir Arthur" entwickelt wurde, der sich nicht nur einfach fortbewegen kann, sondern in der Lage ist zu lernen, dies bei unterschiedliche Bodenstrukturen zu tun, stellt klar: "Diese Roboter werden Arbeitsplätze vernichten. Und das ist auch richtig so. Denn der Mensch ist ja nicht zum Arbeiten geboren, sondern zum Leben. Durch die Maschinen und die Organisationsformen brauchen wir immer weniger Arbeit. Wir sollten vielmehr dafür sorgen, daß wir gesellschaftlich zu anderen Vorstellungen kommen, wie der erwirtschaftete Reichtum verteilt wird."

Wer in der Schule sich mit dem Einsatz von Robotern beschäftigt, wird sich Überlegungen dieser Art stellen müssen.

Bernhard Koerber