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IN:18 (1998), Heft 2, Editorial
Informatik und Mathematik
von Rüdeger Baumann und Andreas Schwill
Was ist Informatik? Informatik ist die Wissenschaft von der systematischen
Verarbeitung von Informationen, insbesondere der automatischen Verarbeitung mit Hilfe von
Digitalrechnern. Was ist Mathematik? Mathematik ist, was Mathematiker machen.
Doch ganz so einfach ist es sicherlich nicht.
Seit Einführung der Informatik in den regulären Fächerkanon der Schule werden
regelmäßig Vergleiche zwischen Mathematik und Informatik gezogen und Fragen zu ihrem
gegenseitigen Verhältnis gestellt:
Was sind die unveränderlichen Merkmale von Mathematik und Informatik?
Was sind ihre verbindenden und trennenden Elemente?
Wie können beide Fächer voneinander profitieren?
Wie sind die jeweiligen Curricula aufeinander abzustimmen?
Welche Gegenstände können Ausgangspunkt für einen fächerverbindenden
Unterricht zwischen beiden Fächern sein, wie er jetzt immer häufiger gefordert wird?
Das Ziel aller dieser Untersuchungen besteht zumeist darin, Unterschiede
und Gemeinsamkeiten von Mathematik und Informatik zu erarbeiten und zu ermitteln,
inwieweit informatische Inhalte von der Mathematik mit abgedeckt oder in ihr angesiedelt
werden können und umgekehrt. Je nach Blickwinkel fallen die Ergebnisse recht kontrovers
aus:
Zum einen werden der Informatik zwar allgemeinbildende Inhalte
zugestanden, diese wobei es sich meist um Inhalte algorithmenorientierter Art
handelt seien aber zu gering, um ein eigenes Schulfach zu rechtfertigen. Vielmehr
könnten sie wegen ihrer formalen Hintergründe besser in den Mathematikunterricht
einbezogen werden.
Auf der anderen Seite wird die Informatik als Fach mit neuartigen allgemeinbildenden
Zielen und Inhalten angesehen, die bisher von keinem anderen Fach vermittelt werden und
auch von keinem anderen Fach ohne daß dieses selbst einen Großteil seiner eigenen
Identität verliert angemessen vertreten werden können. Anhänger dieser Ansicht
setzen sich daher meist zugleich auch für einen verpflichtenden Informatikunterricht
(nicht ITG) in Sekundarstufe I oder II ein.
Glücklicherweise werden alle Versuche, Abgrenzungen zwischen den beiden
Fächern vorzunehmen, immer wieder von der Wirklichkeit eingeholt. Mal sind es Computer-
algebrasysteme, die Modellierung von lebensweltlichen Problemen oder grafische
Darstellungen, die in der Mathematik eine Beschäftigung mit informatischen Systemen
erzwingen, mal sind es Fragen von Codierung, Kompression oder Kryptographie, zu deren
Verständnis in der Informatik zuvor in erheblichem Umfang mathematische Hintergründe
aufgedeckt werden müssen.
Die genannten, immer wiederkehrenden Überlegungen werden in diesem Heft aufgegriffen,
einer Bestandsaufnahme zugeführt und um weitere Standpunkte ergänzt.
Der Hauptbeitrag stammt von H. Hischer und H.-G. Weigand, die sich im Rahmen des
Arbeitskreises Mathematikunterricht und Informatik der Gesellschaft für
Didaktik der Mathematik seit langer Zeit mit den Wechselwirkungen von Mathematik und
Informatik befassen. Sie geben in ihrem Beitrag einen Überblick über die historische
Entwicklung von Mathematik und Informatik und ihrer Beziehungen, ferner stellen sie eine
Reihe von Gebieten vor, die sich im Laufe der Zeit durch den Einfluß der Informatik
verändert haben, bei denen die Informatik zu neuen Sichtweisen geführt hat und die
mathematische und informatische Denkweisen verbinden.
H. Löthe stellt einen neuartigen Ansatz vor, in der Ausbildung von Mathematiklehrern
mathematische Begriffe wie Variablen- und Funktionsbegriff unter
Einbeziehung des Computers zu vermitteln und zu reflektieren. Die verwendeten Zugänge und
Beispiele bieten auch interessante Anregungen für die Nutzung des Computers im
Mathematikunterricht der Schule.
Eine konkrete Verbindung zwischen Mathematik und Informatik, in dessen Zentrum der
Funktionsbegriff steht, knüpft H. Puhlmann. Anhand einer Reihe von Beispielen zeigt er,
wie sich die recht eingeschränkte schulische Sicht auf Funktionen unter Nutzung der
funktionalen Programmiersprache ML weiter verallgemeinern läßt, zugleich aber die
Konzepte durch die Möglichkeit zu experimentieren faßlich bleiben. Eines
seiner überzeugenden Beispiele dient zur formalen Differentiation von Termen.
Interessanterweise stützen sich die beiden zuletzt genannten Autoren auf funktionale
Programmiersprachen ab: Bei Löthe ist es SCHEME, bei Puhlmann ML. Auch in anderen
Arbeiten sowie hin und wieder in dieser Zeitschrift wurden mehrfach die besonderen
Vorteile funktionaler Darstellungen, vor allem im Zusammenhang mit der Sprache LOGO,
propagiert. Es scheint also, daß die funktionale Programmierung in besonderer Weise
geeignet ist, mathematische und informatische Denkweisen organisch miteinander zu
verknüpfen. Zu einer soliden Absicherung dieser Aussage ist jedoch noch eine Reihe von
vor allem unterrichtspraktischen Erfahrungen erforderlich. Auch dazu soll dieses Heft
ermuntern.
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