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LOG IN: 19 (1999) Heft 1

Kybernetik

Als Wegbereiter der Informationswissenschaft, für die er die Bezeichnung „Kybernetik“ (Wissenschaft über die möglichen Beziehungen zwischen Strukturen, Funktionen und Verhalten von sich selbst organisierenden und regelnden dynamischen Systemen in den verschiedenen Bereichen) einführte und deren Gesetzmäßigkeiten sich auf völlig verschiedene Systeme anwenden lassen, erlangte der universell begabte amerikanische Mathematiker Norbert Wiener (1894-1964) bereits zu Lebzeiten Weltruhm. Den Begriff „Kybernetik“ hatte jedoch lange vor Wiener erstmals 1834 der französische Physiker André Marie Ampère (1775-1836) als Bezeichnung einer „Wissenschaft vom Beherrschen von Vorgängen“ verwendet.
Schon als dreijähriges Kind konnte der am 26. November 1894 in Columbia (Missouri, USA) geborene Norbert Wiener Lesen und Schreiben und beherrschte wenige Jahre später zehn Sprachen. Diese sprachliche Begabung hatte ihm sicherlich der ebenfalls hochbegabte Vater vererbt. Wiener Senior war ein aus Bialystok in die USA eingewanderter Professor für neue Sprachen und Literaturgeschichte, der seinem Sohn eine sorgfältige Erziehung ermöglichte.
Norbert Wiener besuchte von 1903 bis 1906 die High School in Ayer (Massachusetts) und begann als Zwölfjähriger am Tufts College in Medford (Massachusetts) ein Biologie- und Mathematikstudium, das er dort 1909 als Bakkalaureus der Mathematik abschloß. Im gleichen Jahr setzte er seine Studien in Philosophie, Mathematik und Biologie an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) fort. Dort promovierte er, erst neunzehn Jahre alt, im Jahre 1913 mit einer Dissertationsschrift über formale Logik zum Dr. phil. Seine weitere Ausbildung absolvierte er während der folgenden beiden Jahre in England an der Universität Cambridge und in Deutschland an der Universität Göttingen.
In die USA zurückgekehrt, dozierte Wiener ab 1915 zuerst an der Harvard University, war dann von 1916 bis 1917 in gleicher Eigenschaft in Augusta an der University of Maine tätig, arbeitete anschließend in Albany (Bundesstaat New York) an der Encyclopedia Americana mit und war dann bis 1919 Journalist beim „Boston Harald“.
Zugleich beschäftigte sich Wiener von 1917 bis 1920 mit wissen-schaftlichen Arbeiten für die Armee sowie für die General Electric Company in New York.
Im Jahre 1920 begann Wiener in Cambridge (Massachusetts) seinen Hochschuldienst am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort seit 1929 zum Professor für Mathematik berufen, gehörte er zu den berühmtesten Wissenschaftlern dieser Hochschule. Wieners bekanntester Schüler war Claude Elwood Shannon (geb. 1916), der am MIT 1940 mit seiner Dissertation als einer der Wegbereiter der Schaltalgebra promovierte.

Von der Filtertheoriezum Computer
Wiener lieferte wichtige Beiträge zur mathematischen Analyse und Wahrscheinlichkeitsrechnung, schuf 1923/24 die Grundlagen der Potentialtheorie, arbeitete 1930 an einer Weiterentwicklung der Fourier-Transformation und entwickelte eine Interpolations- und Extrapolationstheorie. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte Wiener die Theorie der Optimalfilter, mit deren Hilfe es möglich wurde, den Einfluß störender Nebengeräusche auf eine Nachrichtenübermittlung – zum Beispiel durch Radar – zu verringern. Wieners Filtertheorie entstand aus der Notwendigkeit heraus, die in der Radartechnik und Flugzeugabwehr bestehenden Schwierigkeiten bei der Abwehr deutscher Luftangriffe auf England zu überwinden. Für die Nachrichtentechnik ist diese Filtertheorie noch heute von großer Bedeutung.
Seine Filtertheorie führte Wiener zu Untersuchungen über den Bau spezieller Rechenanlagen. Mit seinem 1948 veröffentlichten Werk „Cybernetics – or Control and Communication in the Animal and the Machine“ wurde Wiener zum Begründer der Kybernetik. Als philosophisch gebildeter Zeitkritiker gab er in seinem Werk „The Human Use of Human Beings“ (1950) eine glänzende Darstellung der in Verbindung mit der Automatisierung auftretenden Probleme der menschlichen Gesellschaft. Des weiteren schrieb er die Selbstbiografie „I am a Mathematician“ (1956).
Für seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Leistungen 1964 mit der National Medal of Science ausgezeichnet, verstarb Norbert Wiener, der Begründer der Kybernetik, am 19. März 1964 in Stockholm.
Gerhard Weinreich

Literatur
University of Chicago (Hrsg.): The New Encyclopaedia Britannica. Band 12. Chicago u.a.: Encyclopaedia Britannica Inc., 1991, S. 649 f.

Webster’s American Biographies. Springfield (Mass.): G. & C. Merriam Co., 1974, S. 1132.

Wußing, H.L.; Dietrich, H.; Purkert, W. (Hrsg.): Fachlexikon abc – Forscher und Erfinder. Frankfurt/Main: Harri Deutsch Verlag, 1992, S. 608.