LOG
IN:18 (1998) , Heft 1
Die Multimedia-Maschine
von Bernhard Koerber
Multimedia, das Schlagwort der neunziger Jahre, bewegt zur
Zeit viele gefragte und vor allem viele ungefragte Menschen dazu, sich mit diesem
modischen Thema zu beschäftigen. Medienkompetenz als weiteres Schlagwort wird
allseits vor allem von Politikern als Ziel allgemeiner Bildung gefordert,
doch niemand sagt klar und deutlich, was dies denn sein mag. Aber alle sind der
Auffassung, ohne Computer, ohne CD-ROM und ohne Internet ginge es nicht mehr. Auf
ähnlichem Niveau, wie diejenigen, die sagen, sie verstünden sebstverständlich von
Didaktik etwas, weil sie ja auch einmal Schüler waren, äußern sich zur Zeit viele
Unberufene darüber, daß sie ja auch einen PC auf dem Tisch hätten und nun wüßten,
welchen Stellenwert informatische Bildung selbstverständlich als Teil der
Medienkompetenz hätte.
Dieselbe Frage, was man an Hintergrundwissen haben müsse, wenn man Radio
hört, stellt sich, wenn Computer als Präsentationssysteme für multimediale Inhalte
benutzt werden: Welches Hintergrundwissen in unseren Worten: welche informatische
Bildung muß jeder Mensch besitzen, der mit Computern umgeht? Eine erste Antwort
auf diese Frage ist im Heft 697 von LOG IN gegeben worden. Eine zweite Antwort soll
in diesem Heft aufgezeigt werden.
Gegenüber den traditionellen Druckmedien und auch den isoliert
verwendeten auditiven und audiovisuellen Medien bietet der Einsatz von Computern eine neue
Dimension: Interaktivität. Aber auch das ist nichts Neues. Bereits in den sechziger
Jahren wurden im Rahmen des rechnergestützten bzw.
computerunterstützten Unterrichts (RGU bzw. CUU) Versuche mit Computern als
interaktive Präsentationsmaschinen durchgeführt und Erfahrungen gesammelt. Nur
Computer waren zu dieser Zeit noch gebäudefüllend, und das Programmieren dieser Geräte
setzte nahezu ein Informatikstudium voraus. Mitte der achtziger Jahre entstand mit der
Verbreitung von PCs eine zweite Welle des Einsatzes von Unterrichtssoftware. So
beschäftigte sich LOG IN beispielsweise im Heft 5/686 mit den vergessenen
Erfahrungen (S. 17 ff.). Die Fehler der sechziger Jahre wurden wiederholt, und die
dabei gewonnenen Erfahrungen erneut vergessen.
Und heute im Zeitalter des Edutainments? Alles, was
multimedial angelegt ist, wird als das Nonplusultra modernen Lernens gefeiert.
Nach Wirkungen wird nicht gefragt. Die Bildungspraxis entwickelt sich zur Zeit völlig
theoriefrei, obwohl bekanntlich nichts so praktisch ist wie eine gute Theorie.
Felduntersuchungen zur Nutzung multimedialer Systeme in schulischen, betrieblichen und
häuslichen Lernsituationen fehlen gänzlich, ebenso wie eine didaktische Theorie des
Einsatzes von Multimedia.
Was können nun Unterrichtspraktiker tun, um dieser Misere
entgegenzuwirken? Um Kompetenzen im Umgang mit Rechnern als Präsentationsmedium zu
erlangen, hilft nur, sich damit zu beschäftigen und den Versuch zu unternehmen, selbst
Inhalte multimedial aufzubereiten und sie anderen anzubieten. Erst der Blick hinter die
Kulissen verbunden mit eigenem Tun läßt Zusammenhänge begreifen und damit Kompetenz
erwerben.
Multimediale Autorensysteme sind die dazu notwendigen Werkzeuge. Sie gestatten es,
einerseits zwischen den verschiedenen Medienobjekten Beziehungen zu definieren und
andererseits auch neue Medienobjekte zu erzeugen. Sie wurden vor allem so
jedenfalls die Aussage der Hersteller für Nicht-Programmierer entwickelt, damit
fast jeder in einfachster Weise multimediale Produkte erstellen kann.
Und tatsächlich die Beispiele, in denen nicht nur Lehrkräfte,
sondern auch Schülerinnen und Schüler multimedial gestaltete Produkte erzeugen, mehren
sich. Die Erfahrung zeigt allerdings, daß sich wiederum vor allem Informatiklehrkräfte
mit Autorensystemen auseinandersetzen nicht etwa, weil sie so kompliziert zu
bedienen wären, sondern weil die Systematik des Arbeitens mit diesen Systemen am Computer
der üblichen Systematik des Lösens von Problemen mit diesem Werkzeug entspricht. Von der
ersten Idee über den Entwurf bis zur Implementation gehorcht die Konstruktion eines
multimedialen Produkts den Gesetzen des systematischen Problemlösens der Rechner
zwingt auch als Multimedia-Maschine zu präzisem Arbeiten. Darin unterscheidet sich die
Arbeit an den Rechnern der Vergangenheit zu derjenigen an modernen PCs nicht im
geringsten. Wer nach Bildungsinvarianten sucht, wird sie hier finden und eben
nicht in der Technik.
Informatische Bildung ist daher auch mehr als das angesammelte Wissen
über technische Daten und das Umsetzen von Algorithmen in irgendeine höhere
Programmiersprache. Informatische Bildung umfaßt vor allem die Arbeitshaltung, mit dem
Werkzeug Computer systematisch und dem Werkzeug adäquat eine Aufgabe zu
lösen, und das Bewußtsein darüber, welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen sich
mit dieser Lösung verknüpfen. Solche Bildung wird nur durch eigenes Tun und die
entsprechende Reflexion darüber erreicht. Und vielleicht entsteht in der Reflexion über
das eigene Tun auch ein Weg, dem Begriff Medienkompetenz über das Schlagwort
hinaus Bedeutung zu geben, ja sogar zu Begründungszusammenhängen zu finden, die Basis
einer unterrichtswissenschaftlich geprägten Theorie sein könnten. Dann wäre mit der
Multimedia-Maschine viel erreicht.
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