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LOG IN: 17 (1997) Heft 3/4 Editorial


Ein Blick hinter die Kulissen

von Bernhard Koerber

Das Aussehen heutiger Autos unterscheidet sich gewaltig von den Formen der Automobile um die Jahrhundertwende und selbst von denen der 50er und 60er Jahre. Aber nicht nur das Aussehen der Autos unterscheidet sich – auch in der Funktionsweise damaliger Automobile und derjenigen heutiger Autos liegen Welten.

Allerdings fällt beim Betrachten heutiger Autos auf, daß alle Fabrikate – zumindest im Kleinwagen- und Mittelklassebereich – nahezu gleich aussehen: Unterschiede im Aussehen sind den Simulationsprogrammen für den Windkanal zum Opfer gefallen. Auch die Funktionalität aller Modelle hat sich angeglichen: Die Zuliefererindustrie produziert nach vorgegebenen Normen. Nur bei den Aufpreisen gibt es noch Unterschiede.

Ähnliche Entwicklungen sind seit geraumer Zeit bei der Hard- und Software zu beobachten. Zwar befinden wir uns – wenn wir beim Bild der Automobilindustrie bleiben – technisch gerade im Übergang vom Kurbelanlasser außen vor der Motorhaube zum Starter am Armaturenbrett; ansonsten ist die Zeit des Zwischengasgebens beim Schalten mit Sicherheit noch nicht vorbei, und vom automatischen Getriebe ist beim heutigen Stand der Hard- und Software auch noch nicht die Rede. Doch im Gegensatz zur damaligen Autoproduktion nivellieren sich bei der Hard- und Software aufgrund der Marktführerschaft von „Microintelsoft“ mittlerweile die Erscheinungsformen der Benutzeroberflächen ebenso wie die Funktionalität der Soft- und Hardware. (Man könnte fast meinen, die Hersteller kupferten nur voneinander ab, statt eigene Ideen zu entwickeln – was ja durch entsprechende Urheberrechtsklagen nicht ganz von der Hand zu weisen ist).

Bleiben wir weiterhin beim Bild: Es wird gefordert, einen „Computerführerschein“ zu erwerben – oder neuerdings sogar einen „Internetführerschein“. Gemeint ist dann eine diffuse Form der „Bedienungskompetenz“, verknüpft mit abfragbarem technischem Wissen. Doch selbst dabei wird bereits verkannt, daß es auch beim Autofahren nicht mehr auf das Wissen übers Zwischengasgeben ankommt, sondern auf das verkehrsgerechte Verhalten im Straßenverkehr, d.h. auf das geringste Behindern anderer. Es sind mittlerweile eher soziale Kompetenzen und schnelles Erfassen der jeweiligen Verkehrssituationen gefordert als das Wissen über die einzelnen Funktionen des Otto-Motors. Es spielt keine Rolle mehr zu wissen, aufgrund welcher Funktionalität sich ein Auto in Bewegung setzt – es geht darum, das Fahrziel möglichst genau und unfallfrei zu erreichen. Das Auto ist nur ein Verstärker menschlicher Fortbewegung – was es von Anfang an sein sollte, aber wegen unzulänglicher Technik zunächst nicht sein konnte (und heute wegen Überfüllung der Straßen auch nicht mehr so recht ist).

Auch im Informatikunterricht – oder besser: bei der informatischen Bildung – steht nicht mehr die Technik im Vordergrund. Es geht vielmehr darum, Computer zielgerichtet als Problemlösungswerkzeug und als Kommunikationshilfsmittel einzusetzen, mit der Absicht, entsprechende Ziele schneller und präziser erreichen zu können. Aber anders als beim Auto sind Computer keine Muskelverstärker, sondern Verstärker des menschlichen Intellekts. Damit stehen die zu lösenden Probleme und nicht die Manipulationsmöglichkeiten des Computers mittels Programmiersprache im Vordergrund.

Jede Software ist das Bemühen seiner Urheber, die Umwelt so gut wie möglich mit dem Ziel abzubilden, das gestellte Problem zu lösen. Ein Programm ist daher stets die Abbildung von Objekten der wirklichen Welt, und die Entwicklung von Software bedeutet, ideelle und materielle Gegenstände der Wirklichkeit in ihrem Beziehungsnetz untereinander so zu gestalten, so zu modellieren, daß sie korrekte Lösungen für eine definierte Klasse von Problemen liefern. Dies ist eine intellektuelle Leistung. Genau an dieser Stelle ist mittlerweile die Rechtfertigung eines allgemeinbildenden Informatikunterrichts anzusiedeln, der über einen in der Schule nicht zu rechtfertigenden „Computerführerschein“ hinausgeht.

Im Informatikunterricht geht es darum, den Vorgang durchschaubar zu machen, die komplexe Realität in komplexe Strukturen als Abbildung auf Rechnern umzusetzen. Dies geschieht mit dem Ziel, auch die mit zunächst undurchschaubarer Anwendersoftware einhergehenden Modelle der Realität aufzudecken, sozusagen erst einmal hinter die Kulissen zu blicken. Der nächste Schritt besteht dann darin, selbst in die Modellierung einzugreifen, sich nicht nur dem Vorgegebenen hinzugeben.

Moderne Programmierumgebungen unterstützen dieses Ziel mittlerweile besser, als es imperative Programmiersprachen jemals konnten. Algorithmisches Denken bezieht sich nicht auf die While-do-Schleife, sondern auf die Grundsätze des Bewältigens von Komplexität. „Für den, der nur den Hammer kennt, besteht die Welt aus lauter Nägeln“, lautet ein altes Sprichwort. Damit wird deutlich, daß ein Wechsel im Denken notwendig ist, der über den Gartenzaun bisheriger Programmiersprachenfixierung hinausführt: Es geht ums Problem und seine adäquate Lösung und nicht ums Werkzeug.

Moderne Programmierumgebungen unterstützen einen solchen Ansatz. Es wird sich aber zeigen, daß es vielmehr auf das Erarbeiten von Grundsätzen ankommt als auf detaillierte Programmierkenntnisse, und da ist nahezu jedes System recht.