|
Grundpositionen eines SchulfachesErgebnisse des 2. Fachdidaktischen Gespächs zur Informatik an der Technischen Universität Dresdenvon Steffen Friedrich Bereits vor Jahresfrist berichtete LOG IN (Nr. 2'94, S. 5-6) vom "1. Fachdidaktischen Gespräch zur Informatik" der TU Dresden in Weißig. Dort ging es vor allem um eine Darstellung verschiedener Sichten zur Didaktik des Unterrichtsfaches und um eine erste Verständigung zwischen den anwesenden Fachdidaktikern. Ein Kurzbericht über das "2. Fachdidaktische Gespräch" wurde bereits im Heft 2'95, S. 7, veröffentlicht. Hier sollen nun die Ergebnisse dieses zweiten Gesprächs vorgestellt werden. Ziele der TagungDas Ziel der Tagung bestand weniger darin, unterschiedliche Situationen in den einzelnen Bundesländern darzulegen, sondern vielmehr in der Bestimmung eines vernünftigen Platzes für die Schulinformatik. Im Mittelpunkt standen die Bestimmungen von fachlichen Gegenständen und Leitlinien zum Erreichen einer Sachkompetenz, die Entwicklung von Arbeitsweisen zum Erreichen einer Methodenkompetenz und die Vorbereitung auf eine künftige Informationsgesellschaft zum Erreichen einer Handlungskompetenz. Ausgehend von den historischen Entwicklungen des Schulfaches Informatik und den Äußerungen verschiedener Gremien zur gegenwärtigen Situation in der Schule (GI, Fakultätentag Informatik, MNU) wurde eine Reihe aktueller Probleme herausgestellt. Die Diskussion um informatische Bildung reduziert sich mitunter auf Begründungsversuche für ein Schulfach Informatik. Dabei sollte es doch nicht nur um die Notwendigkeit eines Faches gehen, sondern um dessen inhaltliche Charakteristik und didaktische Ausarbeitung. Also: Grundbegriffe und Grundaussagen einer Schulinformatik sind auszuarbeiten. Es ist nicht das Ziel des Informatikunterrichts, Spezialisten in Softwareentwicklung auszubilden. Bei der Wahl der Themen sollten Ausschnitte aus der Realität sinnvoll eingefangen werden und ein didaktischer Handlungsrahmen entstehen. Daß Informatikunterricht kein Programmierkurs ist, muß ebenso sichtbar werden wie Grundkategorien einer Allgemeinbildung zur Informatik. Also: Didaktische Grundformen des Unterrichts, die im Fach Informatik besonders geprägt werden, sind zu untersuchen. Die integrativen Konzepte der informationstechnischen Grundbildung regen dazu an, den Gegenstand der Informatik immer weiter zu verlassen. Es ist zu fordern, daß das Fach Informatik bei der Aufteilung der Inhalte für eine solche Grundbildung genügend beachtet wird und nicht nur durch die Benutzung eines Computers repräsentiert ist. Also: Informatikinhalte sind in der Grundbildung und im Fachunterricht lebendig zu halten. Ein fundierter Unterricht ist nur auf der Basis einer soliden Ausbildung der Lehrenden und nicht allein durch Fortbildung erreichbar. Ein Studiengang mit einem schulfachgemäßen Abschluß ist dem Stellenwert dieses Faches in den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen förderlich. Also: Die Aus- und Fortbildung von Informatiklehrern ist durch geeignete Rahmenbedingungen zu sichern. In Zusammenhang mit den Aufgabenstellungen einer Fachdidaktik wurde deutlich gemacht, daß sie sich in Verbindung von Unterrichtsfach und zugehöriger Wissenschaftsdisziplin vor allem folgenden drei Teilaufgaben zuwenden sollte:
Mit Blick auf das 1. Fachdidaktische Gespräch 1994 in Weißig wurde der erreichte Diskussionsstand charakterisiert. Es ging damals um Gründe für die informatische Bildung in der Schule, um den Gegenstand des Schulfaches Informatik und die Ausbildung. Nach Abschluß der Referate und der Diskussion wurden während der Tagung drei Arbeitsgruppen gebildet, um an konkreten Aspekten weiterzuarbeiten:
Erste Ergebnisse der ArbeitsgruppenDie folgenden Standpunkte der Arbeitsgruppen sind ein erstes Ergebnis der Diskussion und lediglich redaktionell bearbeitet. Sie sollen zur Meinungsäußerung anregen und die Bereiche bestimmen helfen, die als Grundthesen einer Informatik-Didaktik angesehen werden können. Informatische BildungDie Arbeitsgruppe hält es für notwendig, daß die informatische Bildung einem Gesamtkonzept für S I und S II folgt. In der S I wird im Pflichtbereich ein Fundamentum gelegt, in der S II im Wahlbereich ein Additum. Ziel ist die Erzeugung von Fach- und Methodenkompetenz. Die Betrachtung der Folgen der Anwendung von Informatiksystemen ist grundsätzlich in die jeweiligen Themen zu integrieren. Der anwendungsorientierte Charakter der Informatik legt projektorientiertes und fachübergreifendes Vorgehen nahe. Um den Zusammenhang zwischen Fundamentum und Additum zu gewährleisten, empfiehlt es sich, ein spiralförmig angelegtes Curriculum zu entwickeln. Leitlinie: Umgang mit Informationen Die Schülerinnen und Schüler sollen
Leitlinie: Wirkprinzipien von Informatiksystemen Die Schülerinnen und Schüler sollen
Leitlinie: Problemlösen mit Informatiksystemen Die Schülerinnen und Schüler sollen
Leitlinie: Arbeiten mit Modellen Die Schülerinnen und Schüler sollen
Themen im Informatikunterricht aus Sicht der FachwissenschaftZiele als Beitrag zur Allgemeinbildung werden vor allem in der Kenntnis über die Grundlagen der computergestützten Kommunikation, im Sensibilisieren für Informationssicherheit, im Wissen und im exemplarischen Können über Programmierbarkeit (Modellierung, Algorithmisierung, Formalisierung), in der Transparenz von Grundfunktionen der Hardware, im Beherrschen von komplexen Zusammenhängen (durch Modellierung komplexer Systeme), in der Bewertung von Informatiksystemen und im Wissen über Unentscheidbarkeit (als Phänomen) realisiert. Insbesondere charakterisiert die Realisierung folgender Inhalte die Hauptaufgabe der Lehrdisziplin: Mensch-Maschine-Kommunikation (Automatisierung); Rechnernetze und Telekommunikation; Grundbedrohungen und Basismechanismen der Informationssicherheit; Beispiele für verschiedene Programmierparadigmen; von-Neumann-Prinzip, Prinzip der Speicherung; Einblick in die Softwaretechnik; Unentscheidbarkeit. Ein Beispiel zur Strukturierung:
Zur Sprache können sich folgende spiralig auftretenden Niveaus ergeben: Zwang, exakt zu arbeiten; Begriff der Syntax und Semantik; Wahl einer Sprache hinsichtlich Nutzeranforderung; Vergleich von Sprachvorschlägen; Erweiterung eines vorgegebenen Systems um neue Sprachelemente; Entwurf eines Vorübersetzers. Dazu scheint der folgende Weg geeignet: Die Grobziele werden in Mikroziele aufgespalten, die abgegrenzt und nach einer passenden Taxonomie angeordnet und gewichtet sind. Diese Mikroziele werden in die drei Strukturierungsstränge eingeordnet. Der Lehrende kann dann ein beliebiges Thema auf eigene Ziele untersuchen, um diese dann mit dem Katalog abzugleichen. Gemeint sind hier ausschließlich die fachinformatischen Lernziele. Genutzt werden sollte so ein Katalog zur Strukturierung des eigenen Wissens und der eigenen Absichten. Selbstverständlich muß solch ein Katalog immer unvollständig und erweiterbar bleiben. Erstellung eines Prototypen zum Ziel: Bewertung von Informatiksystemen
Für alle genannten Inhaltselemente sind Lernziele in den verschiedenen Dimensionen möglich: Kennen, Verstehen, Anwenden, Gestalten, Beurteilen. Die beiden Punkte "vorgegebene Dokumentation bewerten" und "eigene gute Dokumentation erstellen" sind hierfür ein Beispiel. Der Unterpunkt Dokumentationsqualität soll exemplarisch mit fachinhaltlichen Mikrolernzielen unterfüttert werden. Gerade beim Punkt Dokumentation treten zwischen den Inhalten Wartbarkeit und z. B. Benutzungsfreundlichkeit Querbezüge auf. Man muß also hier dazu Übergehen, ein Inhaltsnetz zu untersuchen. In diesem lassen sich kerninformatische Inhalte z. B. anhand fundamentaler Ideen erkennen. Themen im Informatikunterricht aus Sicht der SchuleDie folgenden Aussagen sind von der AG aus zwei Sichtweisen entstanden: Einerseits wurde von bildungstheoretischen Grundlagen ausgegangen und andererseits sind die von den Kollegen aus der Schule eingebrachten Erfahrungen eingeflossen. Epochaltypische Schlüsselprobleme Ausgangspunkt der Arbeitsgruppe war das Konzept zeitgemäßer Allgemeinbildung, wie es von Klafki formuliert worden ist: "Allgemeinbildung bedeutet, ein geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Problemen der Gegenwart und - soweit voraussehbar - der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher Probleme und Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken. Abkürzend kann man von der Konzentration auf epochaltypische Schlüsselprobleme sprechen." Aufgaben und Ziele der allgemeinbildenden (berufsbildenden) Schule Hier ist die Arbeitsgruppe von den Vorstellungen der Autoren Heymann und Bussmann ausgegangen: Vorbereitung auf zukünftige Lebenssituationen; Stiftung kultureller Kohärenz; Aufbau eines zeitgemäßen Weltbildes; Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch; Entfaltung eines verantwortlichen Umgangs mit den zu erwerbenden Kompetenzen (Verantwortungs-Postulat); Stärkung des Schüler-Ichs. Exemplarischer Unterricht Das grundlegende methodische Prinzip des Informatikunterrichts kann nach Auffassung der Arbeitsgruppe nur im exemplarischen Unterricht bestehen. Dies bedeutet, daa durch lokales und globales Ordnen der Fachinhalte zu den gegebenen Unterrichtszeiten die fachwissenschaftlichen Inhalte systematisch erarbeitet werden müssen. Kriterien für die Auswahl von Unterrichtsthemen Über die bereits genannten Aufgaben und Ziele der allgemeinbildenden Schule hinaus, denen die Unterrichtsthemen genügen müssen, sind folgende Kriterien der Auswahl zu berücksichtigen: Die Unterrichtsinhalte sollten handlungsorientiert sein, einen Bezug zur Praxis- bzw. Lebensnähe der Schüler aufweisen, produktorientiert (d. h. ergebnisorientiert) sein, einen realen Anwendungsbezug aufweisen, modular mit arbeitsteiligen Verfahren bearbeitbar sein, auf den verfügbaren Rechnersystemen realisierbar sein, Möglichkeiten zur selbständigen kreativ-forschenden Erarbeitung der Problemlösung bieten, interdisziplinär angelegt sein und dabei die Vorkenntnisse der Schüler hinsichtlich des Anwendungsfalls berücksichtigen bzw. die Aneignung neuer informatischer Fachinhalte minimieren. Darüber hinaus sind Umfang und Zeitaufwand zum Erarbeiten der zusätzlich benötigten Kenntnisse über Inhalte der Informatik und der möglicherweise ein halbes Schuljahr ausreichende Motivationsgrad des Themas zu berücksichtigen. Sicher sind hier noch weitere Kriterien zu ergänzen. Benutzen - Analysieren - Konstruieren Alle ausgewählten Themen für den Informatikunterricht gehen vom Umgang bzw. der Bewältigung von Komplexität durch Informatiksysteme aus. Die bei der Konstruktion von Informatiksystemen einhergehende Reduktion von Realität durch Abstraktion und Modellbildung steht somit bei allen Themen im Vordergrund. Die Zugangsweise erfolgt auf drei Stufen:
Themen (Beispielgebäude) Die folgende Themenaufzählung beschränkt sich auf die Nennung von Themen in ihrer obersten Stufe und ist noch weiter zu vervollständigen. Ein Thema wie "Grafik" kann sich z. B. auf die Behandlung von CAD-Systemen und in weiterer Untergliederung auf die konkrete computergestützte Planung der Klassenraumgestaltung beziehen. Grundposition der Arbeitsgruppe ist, daß der Unterricht themenzentriert über einen längeren Unterrichtszeitraum von ca. 10-20 Wochen durchgeführt wird. Folgende Themen wurden von der AG vorgeschlagen: Kommunikationssysteme; Spiele (Strategiespiele); Grafik; Datenbanken; Automaten; Verarbeitung von Sprachen; Expertensysteme (Wissenssysteme); Robotersteuerung; Textverarbeitung; Simulation dynamischer Systeme (natürliche bzw. sozialwissenschaftliche Systeme). Erste Beispiele Datenbanken: Am Thema Datenbanken soll hier kurz aufgezeigt werden, wie sich die Arbeitsgruppe die konkrete Unterrichtsrealisierung vorstellt. Beispielsweise kann das Unterrichtsthema "Automatisierung einer Schulbibliothek" lauten. Die Unterrichtsinhalte bestehen dann aus informatischen Aspekten und Aspekten der gesellschaftlichen Auswirkungen. Informatische Aspekte: Modellierung der Objekte, Bücher und Benutzer einschließlich ihrer Attribute, Integrität, relationales oder objektorientiertes Paradigma, Modularisierung, projektbegleitendes Dokumentieren, Testplan, Interpretation der gewonnenen Daten. Aspekte der gesellschaftlichen Auswirkungen: Veränderung der Arbeitsplätze bei den Bibliothekaren und den anderen Angestellten der Bibliothek, Veränderung des Umgangs der Benutzer mit der Bibliothek (Lebensnähe und Aktualität berücksichtigen!), Datenschutz und Datensicherheit. Kommunikationssysteme: Beim Thema "Kommunikationssysteme" stellte die Arbeitsgruppe fest, daß dies z. Z. durch modisch-aktuelle Diskussionen überlagert wird ("Datenautobahn"). Erste, noch nicht auf Unterrichtserfahrung gründende Vorschläge, zu den informatischen Aspekten: Logische Konzepte von Netzen (lokale, weltweite Netze), technische Hintergründe, Kodierung, Komprimierungsalgorithmen, Datensicherheit, Strategien zur Informationsgewinnung (Suchalgorithmen), Oberflächengestaltung, Verbindung von Datenbanken und Netzkonfigurationen (verteilte Systeme). Aspekte der gesellschaftlichen Auswirkungen: Veränderung von Kommunikationsverhalten. Offene Fragen: Wie kann die Eigenaktivität der Schüler bei diesem Thema im Informatikunterricht initiiert werden? In welcher Weise wird das Kriterium der Ergebnisorientierung unterstützt? Wo liegen die konstruktiven Aspekte dieses Themas und ein die Schüler motivierender informatischer Gehalt? Sprachverarbeitung: Das Unterrichtsthema kann beispielsweise mit Unterrichtseinheiten, wie "Natürlich-sprachliche Übersetzung", "Rechtschreibkontrolle" oder "Auskunftssystem" bearbeitet werden. Informatische Aspekte beim Thema "Natürlich-sprachliche Übersetzung" sind Syntax, Semantik, grammatische Strukturen, Unterschied zwischen natürlicher und formaler Sprache, Modularität, Aspekte der gesellschaftlichen Auswirkungen bestehen im Berufswandel bei Übersetzern, Übersetzungsprobleme bei der Europäischen Union. WeiterführungDie beiden Fachdidaktischen Gespräche haben einen Ansatz für weitere fachdidaktische Arbeiten zur Informatik geliefert. Sie könnten eine Chance sein, den Informatikunterricht voranzubringen und dessen Möglichkeiten und Grenzen im Gesamtkonzept der Allgemeinbildung zu spezifizieren. Vielleicht ist ein Anfang gemacht worden. Das 3. Fachdidaktische Gespräch an der TU Dresden soll vom 19.-21.Februar 1996 wieder in Königstein/Sächsische Schweiz stattfinden. Dazu sind konstruktive Mitstreiter - auch mit neuen Ideen und aktiven Diskussionsbeiträgen - immer willkommen. Prof. Dr. Steffen Friedrich Technische Universität Dresden Fakultät Informatik -- Institut Softwaretechnik I 01062 Dresden Dieser Text findet sich auch unter dem URL:
|