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Deep Computing
Im Folgenden werden die Analysen, Ideen und Prognosen von Louis V. Gerstner, dem Vorstandsvorsitzenden (Chairman of the Board and Chief Executive Officer) der International Business Machines Corporation (IBM), Armonk, NY (USA), mit freundlicher Genehmigung der IBM Deutschland GmbH dokumentiert. Die Texte stammen aus den der Presse zur Verfügung gestellten Reden Gerstners anlässlich der Eröffnung der CeBIT 1998 in Hannover und der E-Business Conference Expo in New York im Dezember 2000. Sie sind für LOG IN redaktionell überarbeitet und aktualisiert worden.
Die Zeichen der Zeit Computer stehen oft im Vordergrund aktueller Diskussionen, denn ihre Technologie fasziniert, ist atemberaubend und durchdringt alle Aspekte unseres Lebens:
Die Entwicklung lässt sich auch anders veranschaulichen:
Der Trend in der Datenspeicherung ist
gleichermaßen beeindruckend. Zu Beginn der 80er-Jahre kostete die
Standard-Speichereinheit eines Computers ein Megabyte rund 100 US-Dollar.
1998 waren es nur noch zehn Cent, und heute ist der Preis auf unter 2 Cent gefallen.
Und der technologische Fortschritt geht immer weiter. Mikroprozessoren, Massenspeicher, Kommunikation, Arbeitsspeicher und alle weiteren Triebfedern der Expansion der Computerbranche werden wie schon seit 30 Jahren noch schneller, kleiner und preisgünstiger werden. Dennoch glaubt Louis Gerstner, dass am Beginn
dieses neuen Jahrtausends doch bereits ein entscheidender Punkt innerhalb der Evolution
der sehr jungen und in gewisser Weise noch sehr unreifen Computerindustrie erreicht worden
ist. Und zwar deshalb, weil diese Technologie inzwischen so leistungsfähig und weit
verbreitet ist, dass ihre Auswirkungen auf die Menschen, die Wirtschaft und die
Regierungen alles bisher da Gewesene in den Schatten stellen.
Deep Computing
Das Einbringen von Wissen Der erste Trend betrifft das, was als "Deep Computing" bezeichnet werden kann. Dieser Begriff ist abgeleitet vom Schach spielenden Supercomputer "Deep Blue", mit dem sich, wie die meisten der Leserinnen und Leser von LOG IN bestimmt wissen, 1997 der damalige Weltmeister Garri Kasparow gemessen hat (s. LOG IN Heft 297, S. 71-72). Deep Blue kann pro Sekunde bis zu 200 Millionen mögliche Züge berechnen. Aber mit Geschwindigkeit allein war es nicht getan. Schließlich war auch der Vorgänger von Deep Blue schon sehr schnell, musste sich ein Jahr vorher aber gegen Kasparow geschlagen geben. Was beim zweiten Mal den Unterschied ausmachte, war die Einbringung von Wissen menschlichem Schachwissen Abertausende von Zügen, Schachpartien und Ergebnissen, die erfasst und mit Algorithmen verknüpft wurden. Auf dieser Basis war Deep Blue in der Lage, die Denkweise des menschlichen Geistes zu kopieren er spielt in Sekundenschnelle millionenfach Figurenstellungen durch und filtert die besten heraus. Der Erfolg gab ihm Recht. Deep Blue steht stellvertretend für eine ganze
Kategorie neu entwickelter Computersysteme, die eine extrem hohe
Verarbeitungsgeschwindigkeit mit hoch entwickelter analytischer Software kombinieren.
Natürlich werden diese Systeme heutzutage für weit drängendere und wesentlichere
Probleme als Schach genutzt. Simulation Bei der Simulation geht es vor allem um die
Ersetzung physikalischer Vorgänge durch digitale Modelle die Wirklichkeit wird
also innerhalb dieser leistungsfähigen Computersysteme nachgebildet. Die Simulation mit dem Computer spart Zeit und Geld. Sie gibt dem Nutzer einen Wettbewerbsvorsprung. Und sie kann noch mehr leisten. So erhielt IBM 1998 vom US-Energieministerium den Auftrag zum Bau eines Supercomputers für die Simulation von Nukleartests, damit in Zukunft keine Atomtests mehr durchgeführt zu werden brauchen. Datenerschließung Die zweite Form des "Deep Computing"
betrifft die Datenerschließung. Teilweise wird dafür auch der Begriff "Business
Intelligence" verwendet man bezeichnet damit die Fähigkeit, wertvolle
Erkenntnisse aus unüberschaubaren Informationsmengen zu gewinnen und bisher verborgene
Korrelationen und Trends zu entdecken. Auswirkungen Bisweilen sind die von den Anwendern solcher
Computer aufgespürten Muster und Zusammenhänge einfach verblüffend.
Globale Netze
Die zweite wichtige Entwicklung innerhalb der
Informationstechnologie ist höchst aktuell der Siegeszug globaler Netze, wie etwa
des Internet, das zu einer Vernetzung der Welt oder wie manche es formulieren
zu einer vernetzten Wirtschaft führen wird. Noch bis vor kurzem glaubten viele, die
Vermittlung von Informationen stünde im Vordergrund Nachrichten, Wetter,
Sportergebnisse, Online-Magazine (so genannte "E-zines").
Es geht dabei nicht nur ums Kaufen und Verkaufen. 1997 wurde von IBM der Begriff "E-Business" geprägt, um die Vielfalt der Möglichkeiten zu beschreiben, in denen der Kunde Mehrwert aus dem Internet gewinnen wird:
Das Jahr 2000 wird allen Beteiligten allerdings im Gedächtnis bleiben als das Jahr, in dem der Stern der dot.com-Unternehmen sank und damit auch der unbedingte Glaube an den Erfolg der neuen Medien. Wer nicht "dot.com" war, gehörte zum Alten Eisen. Zwar wurden wir Zeugen der Faszination der B2B-Märkte und der E-Marktplätze doch leben viele von ihnen mittlerweile nur noch in Pressemitteilungen weiter. Und erst vor ein paar Wochen fragte die New York Times, ob es so etwas wie die "New Economy" überhaupt gäbe. So gab es die in der Wirtschaft seit Dekaden
bekannten Unternehmens-Dramen mit ihren atemberaubenden Aufstiegen und tiefen Abstürzen,
nur diesmal in den Zeitraum weniger Monate gepresst. Aber das Fieber fällt auch wieder. Und
Desillusion macht sich unter denen breit, die eben noch radikal neue Geschäftsideen
propagierten. Diese Phase geht auch vorbei, und es beginnt die wichtige Phase der
Integration der neuen Techniken in Wirtschaft und Gesellschaft. Und genau an dieser Stelle
stehen wir heute mit der Einführung des E-Business. Was für eine herrliche Welt und viele
haben sogar daran geglaubt. Doch die meisten merken jetzt, dass die Wirtschaft so nicht
funktioniert. Zu viele Menschen haben vergessen, dass das Internet nur eine Technologie
ist. Es ist zwar ein sehr mächtiges Werkzeug, aber es hat dennoch nicht die grundlegenden
Kaufgewohnheiten des Konsumenten verändert. Der will nach wie vor das Produkt sehen,
prüfen und gegebenenfalls auch zurückgeben können.
Trotzdem bleiben alle diese Entwicklungen
aufregend. Die wichtigsten Veränderungen und Herausforderungen liegen nicht auf dem
Gebiet der Technologie (die Verbindung zum Internet ist kein Problem mehr), sondern in den
fundamentalen Veränderungen in der Art des globalen Agierens. Natürlich hat dies gravierende Implikationen.
Sie betreffen zum einen die tradierten Formen des Handels und Wandels sie regelten
bisher den Kauf, Verkauf und Vertrieb, die Weitergabe von Wissen und den Umgang
miteinander. Nach Ansicht Gerstners dürfte in der vernetzten Welt fast jede dieser
Konventionen infrage gestellt werden. Zum Beispiel im Hochschulbereich: Eine
Universität in Kanada die Athabasca University Oder im Einzelhandel: Die Essener Karstadt AG (http://www.karstadt.de/) ist die größte Warenhauskette Europas und engagiert sich auch im Online-Vertrieb. Kein ganz leichter Schritt für ein Unternehmen mit erheblichen Investitionen in Verkaufsflächen ganz zu schweigen von den Wirtschaftsstrukturen, der Geschichte und Unternehmenskultur des Hauses, die tief in der Einzelhandelstradition verwurzelt sind. Regierungen nehmen, gestützt auf die Netze, tiefgreifende Veränderungen in der Abwicklung vor: vom Einkauf der Waren und Dienstleistungen bis hin zu Informationsdiensten für die Bevölkerung.
Ähnliche tiefgreifende Veränderungen vollziehen
sich im Bankensektor, im Autohandel, in Musik und Unterhaltung, auf den Finanzmärkten
oder im Versicherungssektor. Übrigens werden die Antworten auf Fragen dieser
Art ausschließlich auf höchster Managementebene erörtert und entschieden. Die
Entscheidung von Karstadt, sich im Online-Vertrieb zu engagieren, wurde bestimmt nicht von
einem Internet-Beauftragten getroffen. Denn die schwierigsten, heikelsten Entscheidungen
gelten nicht der Wahl des Browsers oder Servers, sondern betreffen elementare
unternehmerische Aspekte.
Vom ,,Deep zum ,,universellen Computing Wo gab es vor fünfzig Jahren Elektromotoren? Sie
standen nur in Fabriken und Kraftwerken, weil sie zu groß und zu teuer waren. Heute
finden sich in einem normalen Haushalt zig Elektromotoren in Haushaltsgeräten,
Heizungen und im Lüftungssystem, im CD-Spieler, Videorekorder und in der elektrischen
Zahnbürste. Uns ist der Kauf "elektrischer Motoren" nicht bewusst sie
gehören bei vielen Alltagsgeräten einfach mit dazu. Das Gleiche vollzieht sich in der
Computertechnik. Ein kurzes Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf der Autobahn. Ihr "intelligentes" Auto hat ein Motorproblem, aber statt Sie mit einer blinkenden Lampe zu warnen, wird mittels drahtloser Verbindung über das Internet eine Meldung direkt an den Hersteller gesendet. Das System beim Hersteller diagnostiziert das Problem und sendet eine Korrekturanweisung an die elektronische Steuerung Ihres Autos. Und mehr noch: Allen Modellen dieses Autos in der ganzen Welt wird die gleiche Anweisung übermittelt, ohne dass die Besitzer zuvor informiert werden müssten eine feine Sache für die Fahrer. Und noch besser für die Automobilbauer: Leistungsdaten können sofort erfasst und an die Produktentwicklung und die Herstellung übermittelt werden. Dieses kontinuierliche Feed-back ermöglicht kontinuierliche Verbesserungen und bessere Autos. Das schafft Mehrwert für den Verbraucher. Und einen Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen. Und noch ein Beispiel: Wie nur soll ein Unternehmen, das Millionen von Verkaufsautomaten in der ganzen Welt stehen hat, den Überblick darüber behalten, was sich gut und was sich schlecht verkauft, wann nachgefüllt oder der Münzautomat geleert werden muss, ohne unnütze Touren des Versandfahrers? Ein kleiner Chip in jedem Verkaufsautomaten könnte all dies überwachen und weitergeben. Und mehr noch: Durch einen eingebauten Thermostaten könnte der Automat erfahren: "Heute ist es kalt, senke den Preis um 10 Pfennig." Oder: "Heute sind es 35 Grad; den Preis um 15 Pfennig anheben." Und wenn sich diese hyper-vernetzte Welt
bestehend aus einer Billion verknüpfter intelligenter Bausteine mit den oben
angesprochenen Möglichkeiten der Datenerschließung verbindet, stehen wir an der
Schnittstelle zwischen "universellem Computing" und "Deep Computing". Nach Ansicht Gerstners werden die führenden Unternehmen der Zukunft in jeder Branche diejenigen sein, denen es gelingt, sich auf der Basis von Wissen im Wettbewerb durchzusetzen, das heißt durch Lernen, Anpassung und verbesserte Anwendung von Wissen.
Die Perspektiveder Verbraucher Angesichts der angepeilten Vorzüge der globalen Vernetzung für Hunderte von Millionen, ja sogar Milliarden von Menschen, stehen wir zweifellos vor einer großen Aufgabe:
Es gibt noch eine Reihe von Aspekten, deren
Bedeutung über die Informationstechnologie-Industrie hinaus geht. Einige davon sind so
alt wie die Menschheit, zum Beispiel die Privatsphäre. Andere sind bekannte Aspekte in
neuer Größenordnung, wie etwa Sicherheit oder Steuerfragen auf dem globalen Markt des
Internet. Gerstner ist der Auffassung, dass die Mitglieder der Europäischen Union bei ihren Vorbereitungen einer gemeinsamen Währung hier mit gutem Beispiel vorangegangen sind es ist dies vielleicht eine der wichtigsten Veränderungen seit der Konzeption des europäischen Einigungsgedanken und der Verträge von Rom. Und es ist eine Umstellung, die die wirtschaftliche Landschaft tiefgreifend ändern wird, und es allen Unternehmen künftig erleichtert, hier tätig zu sein. Da dieses neue Universum vernetzter Beziehungen
in erster Linie globalen Charakter hat, wird auch die Verständigung über grundlegende
politische Fragen ein ganz anderes Niveau erreichen das einer abgestimmten globalen
Politik. Als nächstes zur Sicherheit: Der Anspruch der Kunden auf sichere Verschlüsselung und die legitime Besorgnis des Staates hinsichtlich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und der Durchsetzung von Gesetzen schließen einander nicht notwendigerweise aus. Schließlich zur Privatsphäre: Wie können wir auch in Zukunft das Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen und den Vorteilen der Informationsströme in der vernetzten Welt finden? Gerstner meint, dass Lösungen aus dem privaten Sektor kommen müssen und nicht von den Regierungen und dass es gilt, einige bewährte Prinzipien zu bewahren: Der Verbraucher hat ein Recht darauf zu wissen, wie Informationen über ihn genutzt werden. Und er sollte die Möglichkeit haben, die Verwendung dieser Informationen zu kontrollieren und darüber mitzuentscheiden. Gestützt auf globale Vereinbarungen, auf Zusammenarbeit und Rücksichtnahme wird es der Informations- industrie, den Regierungen und den Verbrauchern möglich sein, neue Wege zu gehen. Damit der globale elektronische Markt dynamisch und sicher wächst und damit sich die Verheißungen einer vernetzten Welt erfüllen. Der Schritt ins neue Jahrtausend Wir stehen am Anfang eines neuen Jahrtausends,
und es gibt wohl keinen Zweifel mehr an der Stärke der Computertechnologie. In
unglaublich kurzer Zeit hat sie ein Stadium der Reife erreicht, in dem sie zunehmend
Einfluss auf alle anderen modernen Technologien mit Veränderungspotenzial gewinnt. Die äußerst leistungsfähigen Instrumente sind heute schon verfügbar. Jeder Einzelne von uns wird zu entscheiden haben, wie und wie bald wir sie nutzen werden.
Dokumentation und redaktionelle Bearbeitung: Bernhard Koerber
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