LOG IN: 16 (1996) Heft 2,
Praxis & Methodik
Computerunterstützter Zahlungsverkehr
Ergebnisse der Arbeitsgruppe 3 Themen im
Informatikunterricht aus der Sicht der Schule während des 3. Fachdidaktischen
Gesprächs zur Informatik an der TU Dresden
Der wesentlichste Ausgangspunkt bei der Planung von Unterricht ist die vorfindbare
Wirklichkeit. Allgemeinbildung bedeutet vor allem, sich in der Realität zurechtfinden zu
können, d.h. sie korrekt erklären und damit auch sachkundig gestaltend auf sie einwirken
zu können. Unterrichtsthemen des Faches Informatik sollten deshalb nicht
fachsystematisch, sondern themenzentriert strukturiert und geplant werden so
jedenfalls die grundsätzliche Leitlinie der Arbeitsgruppe Themen im
Informatikunterricht aus der Sicht der Schule während des 3. Fachdidaktischen
Gesprächs zur Informatik an der TU Dresden (vgl. hierzu auch S. 7-8 und 29-33 in diesem
Heft). Am Beispiel des bargeldlosen bzw. computerunterstützten Zahlungsverkehrs soll
dieser Grundsatz im folgenden anhand der Arbeitsergebnisse der Gruppe verdeutlicht werden.
Reale statt virtuelle Realität
Wie der bargeldlose Zahlungsverkehr im einzelnen abgewickelt wird, unter welchen
Bedingungen und Arbeitsvorgängen das elektronisch verwaltete Geld fließt, scheint auf
den ersten Blick ziemlich komplex zu sein: ec-Karte, Kreditkarte,
POS Point of Sale, Magnetkarten-Sparbuch,
Homebanking und überhaupt Electronic Banking sind derzeit die
Schlagworte. Deshalb ist eine Analyse der Wirklichkeit der Ausgangspunkt für die Planung
des Unterrichts. Dies muß zunächst auf hermeneutischem, d.h. die Wirklichkeit
interpretierendem und auf Vollständigkeit zu untersuchendem Weg geschehen.
Was jeder unternehmen kann, ist eine Bank oder Sparkasse aufzusuchen und sich über die
Möglichkeiten der Geldanlage zu informieren. Im vorliegenden Fall wurde eine Filiale der
Deutschen Postbank AG besucht, aber andere Geldinstitute sind ebenso informativ. Nach der
Materialbeschaffung (siehe z.B. Bild 1 auf der nächsten Seite) ist zu entscheiden, aus
welcher Sichtweise die Analyse der Auskünfte bzw. Unterlagen durchgeführt werden sollte.
Die Schülerrollen beim Umgang mit Informatiksystemen haben vier Aspekte (vgl.
Peschke, 1990, S. 32):
- Bediener (Geräte bedienen, Daten eingeben),
- Benutzer (Anwendungen gestalten),
- Betroffener (Folgen erkennen bzw. erfahren),
- Gestalter (selbständig algorithmische Probleme lösen).
Je nach intendiertem Unterricht ist die eine oder andere Schülerrolle ausgeprägter
bzw. reduzierter zu betrachten (Prioritäten in Klammern):
- informationstechnische Grundbildung (1. Benutzer, 2. Betroffener, 3. Bediener, 4.
Gestalter),
- Informatikunterricht in der Sekundarstufe I (1. Benutzer, 2. Gestalter, 3. Betroffener,
4. Bediener),
- Informatikunterricht in der gymnasialen Sekundarstufe II (1. Gestalter, 2./3. Benutzer
und Betroffener, 4. Bediener),
- Informatikunterricht in der berufsbildenden Sekundarstufe II (1./2. Bediener und
Betroffener, 3. Benutzer, 4. Gestalter).
Zentrale Fragen bei der Planung des Unterrichts sind darüber hinaus:
- Wie wird das Informatiksystem (d.h. die Hard- und Software) als Werkzeug eingesetzt?
- Welche Inhalte des Faches Informatik sind bei diesem Einsatz von Bedeutung?
- Welche Rollen und damit verknüpften Aufgaben übernehmen die beteiligten Menschen bei
diesem Einsatz?
Um nicht das gesamt Phänomen des Electronic Banking untersuchen zu
müssen, wurde eine Beschränkung auf das Thema Elektronisches Sparbuch
vorgenommen.
Die ersten Banken bieten bereits statt des üblichen, aber mittlerweile auch
elektronisch geführten Sparbuchs im Papierformat (mit Magnetstreifen) auch Sparbücher
als Scheckkarte an. Das Thema Sparbuch ist darüber hinaus immer noch für
Schülerinnen und Schüler jeden Alters von Interesse, da sie zumeist selbst ein Sparbuch
besitzen.
Sparbuch und Informatik
Um die oben gestellten Fragen beantworten und Planungsgrundlagen für den Unterricht
festlegen zu können, wurde zunächst eine Sammlung von Fakten in Form eines
Brainstormings angelegt. Ausgangspunkt waren die
- Einzahlungs-
- Verwaltungs- und
- Auszahlungsvorgänge
bei einem Sparbuch. Die notwendigen Daten und Datenstrukturen können über
entsprechende Formulare sehr leicht in Erfahrung gebracht werden (vgl. Bild 2).
Anwendungsbereich
- Beantragen eines Sparbuchs
- Einzahlen
- Auszahlen
- Überweisen
- Benutzung im Ausland
- Besitzlegitimation
- Kapitalisierung
- Zinssteuerfreistellung
- Verlust des Sparbuchs
- Auflösung des Sparbuchs
Gesellschaftlicher Bereich
- Auskunftspflicht bei der Datenerhebung im Antragsformular (vgl. Bild 2)
- Datenspur
- Datenschutz
- Zins- und Leitzinsentwicklung
- Automatisierung und Rationalisierung in Banken
- Zukunft des Sparbuchs
- Folgen der Privatisierung von Banken
Algorithmischer Bereich
- Software Engineering
- Dateien und Dateiverwaltung
- Datenbanken und Datenbankverwaltung
- Buchungsvorgänge
- Tabellenkalkulation (einschl. Rundungsproblematik)
- Formularentwicklung und -erstellung
- Identifikation bzw. Legitimation
- Freistellung von der Zinsabschlagsteuer
Technischer/theoretischer Bereich
- Formularausdrucke
- Magnetstreifen des Postsparbuchs
- Maschinenlesbarkeit und Codierung
- Datenbankverwaltung
- Vernetzung (LAN/MAN)
Sichtweisen
- Kunden
- Bank als Unternehmen
- Angestellte der Bank
- Entwickler für Bank-Software
Unterrichtsziele
Der nächste Schritt besteht im Festlegen der Unterrichtsziele. Dies soll im folgenden
unter mehreren Dimensionen geschehen: Einerseits werden die Ziele und Inhalte definiert,
andererseits werden die Inhalte fachsystematisch eingeordnet und den Unterrichtsstufen
zugeordnet.
Ziel: Anwendersoftware kennenlernen und benutzen
- Inhalte: Tabellenkalkulation auf elementarer Stufe; Konstruktion einfacher
algorithmischer Elemente (Addieren/Subtrahieren, Zinsberechnug ohne Sonderfälle)
[algorithmischer Bereich Sekundarstufe I]
Ziel: Softwaresystem zur Simulation erstellen
- Inhalte: Erstellung der Simulation einer Kontoführung; Methoden des Software
Engineering (ggf. inkl. Datenbanksystem-Entwicklung); Reduktion von Wirklichkeit,
Abstraktion und Modellbildung [algorithmischer und theoretischer Bereich
Sekundarstufe II]
Ziel: Softwaresystem benutzen
- Inhalte: Verschiedene Sichtweisen (Kunde, Unternehmer, Ansgestellter,
Software-Entwickler) [Anwendungsbereich, technischer Bereich ITG]
Ziel: Softwaresystem analysieren
- Inhalte: Elemente einer Programmiersprache; Modulkonzept [algorithmischer und
theoretischer Bereich Sekundarstufe II]
Ziel: Grundlagen von Datenbankkonzepten verstehen
- Inhalte: Theoretische Grundlagen von Datenbanken [theoretischer Bereich
Sekundarstufe II]
Ziel: Veränderungen durch EDV beurteilen
- Inhalte: Historische Entwicklung des Bankwesens (bis zur Bank 24);
Telebanking [gesellschaftlicher Bereich je nach Tiefe für alle Schulstufen]
Ziel: Kontoführung verstehen (Schülersicht/Kundensicht)
- Inhalte: Beantragen eines Kontos; Kontobewegungen; Auflösen eines Kontos
[Anwendungsbereich ITG und Informatikunterricht in der Sekundarstufe I]
(wird fortgesetzt)
Bernhard Koerber |
Freie Universität Berlin
Zentralinstitut für Fachdidaktiken
Habelschwerdter Allee 45
14195 Berlin |
Literatur
- Baumann, R.: Planung von Unterrichtseinheiten und -stunden im Informatikunterricht. In:
LOG IN, 13 (1993), H. 6, S. 10-18.
- Knittel, B.; Witten, H.: Informatik für die Gesellschaft Unterrichtsplanung für
gesellschaftspolitische Themen im Informatik- und ITG-Unterricht. In: LOG IN, 13 (1993),
H. 6, S. 26-29.
- Koerber, B.; Peters, I.-R.: Planungsstrukturen bei größeren Unterrichtsvorhaben. In:
LOG IN, 13 (1993), H. 6, S. 19-25.
- Peschke, R.: Grundideen des Informatikunterrichts. In: LOG IN, 10 (1990), H. 6, S.
25-33.
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