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[2000]

 


LOG IN 19 (1999) Heft 6

Moderne   Medienwelten


    Kennen Sie Hans Meiser? Dieser 53jährige, tägliche TV-Talker sieht ein baldiges Ende des Talk-Booms voraus: „Ich denke, daß die eine oder andere Show kippt […]. Leute, die stammeln, der deutschen Sprache nicht mächtig sind und sich über andere lustig machen, werden in Zukunft nicht die geringste Chance haben.“ Dies mag der Leserin und dem Leser von LOG IN gut tun – wenn auch unsere Mütter diesem Herrn Meiser wegen seiner originellen Krawatten und exakt sitzenden Hemden bislang wohlgesinnt waren. Im Januar 1999 sahen ihm immerhin noch 2,5 Millionen Menschen zu – im November 1999 nur noch 1,6 Millionen.
    Liebe Leserinnen und Leser – Sie sind weder im falschen TV-Programm, noch haben Sie die falsche Zeitschrift zur Hand. Das Schwerpunktthema dieses LOG IN-Heftes lautet „Moderne Medienwelten“ – wer kann da wohl am Fernsehkonsum vorbeischauen (der Durchschnitt bringt es auf drei Stunden täglich, die 20% Vielseher hingegen auf rund sechs Stunden mit einer Kanalwechselfrequenz von rund 22 Minuten).
    Doch zum Thema: Den Begriff „medium“ (mittel, Mitte, Mittler) nutzen z.B. der Besteller eines Beefsteaks in einem guten Restaurant, „Spiritualisten“, die ihr Medium benötigen, und letztlich heißt „die goldene Mitte“ für die Engländer „the happy medium“. Welchen Befürchtungen die „mass media“ (Massenmedien), im besonderen das Internet, Nahrung geben, spitzte der Schriftsteller Peter Glaser in einem „Politischen Feuilleton“ vom DeutschlandRadio Berlin zu: „E-Commerce heißt die gerettete Form des Gewerbetreibens. […] Eine technische Lösung wäre, daß wir in Zukunft anstelle einer Tastatur einen roten Knopf in der Art des sogenannten Totmannschalters bedienen. Wenn man nicht alle fünf Minuten drückt, wird geliefert. Die Wirtschaft brummt.“
    Auch die Bildungspolitik hat ihre Stellenwert-Probleme mit dem Medienbegriff, wie die folgende, garantiert wahre Geschichte zeigt:
    Es waren einmal einige Bildungsforscher, die eine gute Idee zur Einführung von interessanten Wahlpflichtkursen gebahren. Neben vielen anderen Kursen sollte es einen mit dem Titel „Medienerziehung“ und einen weiteren mit dem Titel „Angewandte Informatik“ geben. Da die nächsthöhere Instanz die Rechtmäßigkeit zweier getrennter Kurse zu solch vermeintlich ähnlichen Themen bezweifelte, wurde eine Verschmelzung zu einem einzigen Kurs mit dem Thema „Medienerziehung / Angewandte Informatik“ vorgeschlagen. Aber der noch höheren Instanz mißfiel der Begriff „Informatik“ mit seiner Erinnerung an das Programmieren so sehr, daß der Wahlpflichtkurs den unverfänglichen Namen „Moderne Medienwelten“ erhielt. Zum Trost sei vermeldet: Die Inhalte blieben die gleichen!
    Soweit die wahre Geschichte – die Bemühungen des Entdeckens von Gemeinsamkeiten zwischen „Informatischer Bildung und Medienerziehung“ macht indes nicht nur der in diesem LOG IN-Heft abgedruckte Entwurf einer Empfehlung der Gesellschaft für Informatik e.V. deutlich (s. gelbe Seiten im Mittelteil). Daß nach diesem Titel die Informatik etwas mit Bildung und die Medien etwas mit Erziehung zu tun haben, mögen die geneigten Leserinnen und Leser noch als temporären Klärungsbedarf akzeptieren.
    Weitere Beiträge in diesem Heft werden diesen Klärungsbedarf untermauern, aber hoffentlich auch Anregungen für die praktische Arbeit in der Schule liefern – ohne hier ganz bewußt einzelne Fächer zu nennen. Vor allem soll mit diesem Heft einer in Schulkreisen verbreiteten medienfeindlichen Haltung entgegengewirkt werden. Medien werden lediglich in Form leicht handhabbarer audio-visueller Medien und als Unterrichtsfilm toleriert. Die Massenmedien der unkontrollierbaren Freizeit, wie das Fernsehen, erst recht aber die neuen elektronischen Medien, sind für viele, vor allem ältere Lehrerinnen und Lehrer der pädagogische Antichrist: Durch den Medienkonsum würden Bilder, Werte und Phantasien in die Schule eingeschleppt, die geregelten Unterricht verhindern. Von diesen Medien sei die Schule rein zu halten – wenigstens bis zur Pensionierung. Nach uns die Medienflut!
    Die Beiträge von Schulen an Wettbewerben wie „Join Multimedia“, „Netd@ys“ u.a. demonstrieren eine wachsende Phantasie und Sachkenntnis in der Nutzung von Medien, vorwiegend des Computers, für unterrichtliche Zwecke. Betrachtet man, wie die Wettbewerbsergebnisse zustande kommen, wird deutlich:

  • Die Möglichkeiten der Schüler, ihre Lernziele und -wege selbst zu bestimmen, nehmen deutlich zu.

  • Die Chancen der Lehrkräfte mit vorgeplanten Lehr- und Lernstrategien zu unterrichten, vermindern sich.

  • Die Lehr-Lernstruktur verändert sich innerhalb der Institution Schule allmählich; damit öffnet sich die Institution selbst.

    Zum Schluß aber trotzdem noch einmal der „Hyperkritiker“ Glaser: „Einem deutschen Entwicklungshelfer fiel in einem afrikanischen Dorf auf, daß die Frauen täglich eine Stunde zu einer Wasserstelle unterwegs waren. Er ließ einen Brunnen mitten im Dorf bauen. Die Frauen fühlten sich hintergangen: Die Zeit, die sie auf dem Weg zur Quelle und zurück mit den anderen Frauen verbrachten, hatte ihnen ganz allein gehört. Der Entwicklungshelfer, ein Mensch aus dem fernen Effizienz-Universum, hatte ihnen ein Stück Lebensqualität genommen.“– Wer dabei an E-Mail und Tele-Arbeit denkt, liegt durchaus richtig.

Hannes Gutzer

Jürgen Müller