LOG IN: 13 (1993) Heft 6
Planungsstrukturen bei größeren Unterrichtsvorhaben
Theorie und Praxis der Planung informatischer Bildungsprozesse bei
komplexen Problemlösungen
von Bernhard Koerber und Ingo-Rüdiger Peters
Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein,die Unterrichtsweise
aufzuspüren und zu erkunden,bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen,die
Schüler dennoch mehr lernen;in den Schulen weniger Lärm, Überdrußund unnütze Mühe
herrsche, dafür mehr Freiheit,Vergnügen und wahrhafter Fortschritt.
Johann Amos Comenius (1657, 71992, S. 1)
Informatikunterricht ist heutzutage auch nicht mehr das, was er anfangs einmal war: Das
Lehren der Programmiersprachen-Vokabeln haben die Computercamps der Banken und Sparkassen
übernommen mächtige Werkzeuge zum Lösen von Problemen und zur entsprechenden
Systementwicklung stehen nicht nur auf Großrechnern, sondern auch für jeden
Feld-Wald-und-Wiesen-PC zur Verfügung die Schülerinnen und Schüler wenden sich
gelangweilt ab, wenn trotz komfortabelster Tabellenkalkulationsprogramme im
Unterverzeichnis nebenan die Addition zweier Zahlen mit PASCAL (oder womit auch immer) als
Unterrichtsthema vorgegeben wird. Wie soll da noch ansprechender Unterricht geplant und
durchgeführt werden? Und wie soll das, was unter informatischer Bildung
verstanden wird, als Ziel an allgemeinbildenden Schulen erreicht werden?
Diejenigen Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Beruf gelernt und ihn (sofern es das
überhaupt noch gibt) als Berufung wie vor Jahrhunderten Comenius
verstehen, sehen im Informatikunterricht oder überhaupt bei der informatischen
Bildung die Chance, Allgemeinbildung im ursprünglichen Sinn zu vermitteln.
Die Schülerinnen und Schüler interessierende und ansprechende, lebensnahe und damit aber
auch komplexe Probleme können mittlerweile sogar im Anfangsunterricht behandelt werden.
Denn einerseits ist das Werkzeug Computer mächtiger geworden und andererseits können die
didaktischen Grundlagen der informatischen Bildung wieder deutlicher formuliert werden.
Didaktik als Ausgangspunkt
Zum Selbstverständnis der Didaktik
Alle Fragestellungen der Didaktik sind in das Problem der menschlichen Bildung
eingeordnet. In der Didaktik als Wissenschaft wird gefragt, wie Bildung und Erziehung
möglich sind und wie Bildungsprozesse organisiert werden können. Der Ursprung
didaktischer Prozesse liegt in der Notwendigkeit, verallgemeinerte Erfahrung zu tradieren
und an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben, um den Bestand der eigenen
Gesellschaft zu gewährleisten.
Didaktische Prozesse entwickeln sich aus dem Widerspruch zwischen dem wachsenden
Kulturgut und Wissensschatz der Gesellschaft einerseits und den begrenzten Möglichkeiten
ihrer unmittelbaren, rein empirischen Weitergabe und Tradierung andererseits.
Didaktik soll in Lehre, Forschung und Praxis mit dreifacher Absicht einen
Beitrag leisten (vgl. Otto, 1989, S. 43):
- eine besser begründete Praxis im Interesse der Lernenden bewirken,
- den Austausch der in dieser Praxis Handelnden den Lehrenden und Lernenden also
untereinander fördern und
- eine bessere Verständigung über die Praxis von Vermittlungsprozessen zwischen den
Lehrenden erreichen.
Didaktik ist mithin eine praktische Wissenschaft, die stets auf beides zielt:
einerseits auf das Verstehen dessen, was ist, und andererseits auf die Herstellung dessen,
was sein soll. Ein kompetenter Didaktiker muß sich daher auf drei Komponenten als
Grundlage seines Handelns beziehen:
- das Fachwissen,
- das Gesellschaftswissen und
- das Wissen um die Machbarkeit von Bildungsprozessen.
In allgemeinbildenden Schulen soll die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler
gefördert werden, sich mit den dem Gesellschaftsbestand zugrundeliegenden
Wissenschaften auseinanderzusetzen und damit alle Lebenssituationen bewältigen sowie eine
eigene Weltinterpretation leisten zu können (vgl. Frey, 1976, S. 79).
Jede didaktische Fragestellung zielt in ihrem Kern darauf ab, den historischen Prozeß
des Herausbildens gesellschaftlicher Erfahrungen, insbesondere wissenschaftlich
verallgemeinerter Erfahrung, planmäßig in individuelle Bildungsprozesse zu
transportieren. Eine Lehrkraft, deren Aufgabe es ist, solche Prozesse zu initiieren, muß
zwar unbedingt über das angemessene Fachwissen verfügen, das der jeweilige
Unterrichtsgegenstand erfordert sie muß aber zusätzlich die Kompetenz besitzen,
darüber entscheiden zu können, ob der Inhalt im strukturellen Zusammenhang des
entsprechenden Faches auch von Bedeutung ist. Nur relevante Inhalte eines Faches werden in
die fachdidaktische Reflexion einbezogen, um sie auf ihre
Bildungsbedeutsamkeit zu überprüfen. Abkürzend kann man von der
Konzentration auf epochaltypische Schlüsselprobleme [
] sprechen (Klafki,
21991, S. 56).
Zum Gesamtzusammenhang einer Unterrichtseinheit
Gestandene Lehrerinnen und Lehrer haben beim Unterricht in ihren Fächern,
die sie studiert und deren fachdidaktische Grundlagen sie verinnerlicht haben,
keine Probleme bei der Planung von Unterricht mehr. Sie können sich differenziert auf
ihren Unterricht vorbereiten zwar ohne lange Lernzielkataloge oder schriftliche
Rechtfertigungsversuche, wohl aber hinsichtlich einer problembezogenen Aufgabenanalyse:
Sie konzentrieren ihre Vorbereitungen auf die Frage, was sie und ihre Schülerinnen und
Schüler im Unterricht tun sollen.
Beim Informatikunterricht ist das derzeit noch etwas anders: Im traditionellen Sinn
ausgebildete Lehrkräfte gibt es so gut wie nicht, und diejenigen, die informatische
Bildung vermitteln sollen, haben ihr Wissen und ihre Erfahrung mehr oder weniger
autodidaktisch erlangt. Deshalb ist eine Rückbesinnung auf die Grundlagen von
Unterrichtsentwürfen notwendig: Jeder Unterrichtsentwurf auch und vor allem bei
der informatische Bildung ist in einem Gesamtzusammenhang bildungspolitischer und
damit gesellschaftlicher Entscheidungen zu sehen (vgl. Bild 1)! Diese Zusammenhänge
fließen normalerweise in die alltägliche Unterrichtsplanung bei professionellen
Lehrkräften automatisch ein und müssen nicht mehr wie von einem
Examenskandidaten bei jedem Planungsschritt erneut nachvollzogen werden. Bei der
derzeitigen Situation sind jedoch die meisten Kolleginnen und Kollegen allein gelassen und
müssen diese Umsetzarbeit ebenfalls jedes Mal neu leisten. Daß Informatikunterricht
nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch mittlerweile von Schule zu Schule
sehr unterschiedlich ist, darf somit niemand wundern.
Deshalb sind unseres Erachtens, die Diskussionen über den allgemeinbildenden Wert
informatischer Bildung, die vor einiger Zeit u.a. auch in dieser Zeitschrift
begonnen wurden, von großem Wert für das grundlegende Verständnis von
Unterrichtskonzeptionen und daraus ableitend für die täglichen Entscheidungen über die
zu vermittelnden Inhalte, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Nicht mehr die Produktschulung
steht im Mittelpunkt des Unterrichts, sondern beispielsweise Fragen wie (vgl. LOG IN
691, S. 34):
- Wie werden Informatiksysteme (d.h. Hard- und Software) angewandt und wie werden
diejenigen, die damit umzugehen haben, befähigt, diese Systeme für das Lösen ihrer
alltäglichen Probleme zu nutzen?
- Wie sind Informatiksysteme aufgebaut, wie wirken ihre Komponenten zusammen und wie
ordnen sie sich in umfassendere sozio-technische Systemzusammenhänge ein?
- Wo liegen die prinzipiellen Grenzen technischer Informationsverarbeitung und was ist
unter Informationsverarbeitung überhaupt zu verstehen?
Informatische Allgemeinbildung bedeutet daher auch, sich mit komplexen Gegebenheiten
auseinanderzusetzen und in komplexen Sachzusammenhängen zu denken. Sofern ein
zutreffendes Bild der Informatik im Unterricht und darüber hinaus eine entsprechende
Allgemeinbildung vermittelt werden sollen, bedingt dies die Darstellung der
interdisziplinären Aufgaben informationstechnischer Systeme ein grundlegendes
Prinzip der Auswahl von Unterrichtsinhalten und damit ein grundlegendes Prinzip der
Strukturierung von Unterrichtsabläufen!
Im Zentrum: Problemlösen und Modellbilden
Das Ziel des Einsatzes informationstechnischer Systeme und aller Anwendungen der
Informatik überhaupt ist davon geprägt, Komplexität zu bewältigen und damit
verknüpfte Probleme systematisch zu lösen. Von entscheidender Bedeutung bei der
Anwendung der Methoden der Informatik ist daher der Vorgang des Problemlösens, dessen
Basis wiederum Abstraktion und Modellbildung sind.
Wird von einem Menschen ein Problem gelöst, so ist dies ein Vorgang, ein Prozeß, eine
Wirkung seiner Gedanken und Handlungen. Um einen solchen Prozeß auf ein
Datenverabeitungssystem zu übertragen, muß zunächst erkannt werden, wie die
Wirklichkeit beschaffen ist. Mit diesen Erkenntnissen muß die Wirklichkeit so dargestellt
werden, daß alle Fakten und ihre Zusammenhänge für ein informationsverarbeitendes
System aufbereitet werden können. Die Realität wird als ein von menschlicher
Intelligenzleistung und menschlichen Wertvorstellungen abhängiges Modell auf ein solches
System abgebildet.
Unter Modell der Wirklichkeit wird eine vereinfachte Darstellung von
Strukturen, Funktionsweisen und Verlaufsformen realer Vorgänge verstanden. Auch das
Lösen eines Problems wie z.B. eine drucktechnisch einwandfreie Aufbereitung eines
Textes ist ein Vorgang in der Realität. Das Bearbeiten von anwendungsbezogenen,
praktischen und nicht formalisierten Problemen erfordert zunächst das Entwerfen eines
Modells, um sie letztlich mit Hilfe eines Rechners lösen zu können.
Modelle sind vereinfachende Repräsentanten der Realität. Die entscheidende Frage ist
ausschließlich, ob die Benutzung eines Modells bei der Behandlung eines Problemtyps
weiterführt.
Die Anwendung eines Modells wird durch folgende Aspekte bestimmt:
- die Realität, die das Modell abbilden soll,
- das Bewußtsein des Individuums,
- das Problem, zu dessen Lösung das Modell benutzt wird,
- die auf die Realität zurückwirkende Anwendung des Modells.
Die grundlegende Eigenschaft des Modells besteht darin, daß es für sich in der Lage
ist, sich in ähnlicher Weise zu verhalten wie das von ihm repräsentierte reale System.
In einem Unterricht, der den Umgang mit dem Computer als Werkzeug zum Gegenstand hat,
sind auch immer die auf ihm abgebildeten Modelle Gegenstand. Es muß deutlich gemacht
werden, daß von dem betrachteten Wirklichkeitsbereich immer ein Modell entworfen werden
muß und daß dieses Modell wieder in bestimmter, meist vom Modellbauer intendierter Weise
auf den Wirklichkeitsbereich zurückwirkt.
Die Beschreibung des Modells und des Problemlösungswegs muß, um sie auf einem
Computer abbilden zu können, in einen Algorithmus und in Datenstrukturen umgesetzt
werden. Ein Algorithmus repräsentiert dabei die Ablaufstruktur einer Problemlösung.
Einer Datenstruktur liegen Datenobjekte zugrunde, auf die wiederum die Algorithmen
einwirken können. Die Datenobjekte sind die Beschreibung materieller oder ideeller
Gegenstände der Wirklichkeit als Daten. Ein Datenobjekt repräsentiert
modellhaft die Gegenstände der realen Welt. (In diesem Zusammenhang ist im übrigen der
Unterschied zwischen Daten und Informationen von wesentlicher
Bedeutung, was hier nicht weiter thematisiert werden soll!)
Ein Software-System sei es bereits fertig oder noch zu entwickeln setzt
sich grundsätzlich aus Algorithmen und Datenstrukturen zusammen. Jedem System liegen
dabei Vorstellungen zugrunde, wie das zu lösende Problem nach Meinung seiner menschlichen
Schöpfer durch die von ihnen konstruierten Algorithmen und Datenstrukturen am besten
bearbeitet werden kann. Das heißt: Informationsverarbeitende technische Systeme stellen
ein Werkzeug für das Lösen von Problemen dar, das stets menschliche Ideen, Wertungen und
auch Irrtümer widerspiegelt.
Grundlegendes Ziel einer informatischen Allgemeinbildung sei es im
Informatikunterricht oder in der informationstechnischen Grundbildung ist daher,
daß den Schülerinnen und Schüler diese Zusammenhänge handlungsorientiert bewußt
werden. Ausgangspunkt und Strukturierungsgrundlage für den Unterricht ist somit der
Anwendungsbezug informationstechnischer Systeme und die damit verknüpfte Bewältigung von
Komplexität.
Methoden der Informatik alsInhalt und didaktisches Prinzip
Mittlerweile vollzieht sich nicht nur in der Bezugswissenschaft Informatik ein Wandel,
auch beim Informatikunterricht wird davon ausgegangen, daß nicht bei jedem Problem das
Rad von neuem erfunden werden muß: Das Zurückgreifen auf wiederverwendbare Bausteine ist
eines der Grundlagen moderner Software-Konstruktion und Problemlösung wie auch im
vorliegenden Heft bereits gezeigt wird (vgl. Beitrag von Lehmann, S. 36 ff.) und im
nächsten Heft weitergeführt werden soll. Die mit Hilfe von Methoden des Software
Engineering konstruierten Anwendungen der Informatik sind zwar im Zusammenhang mit
Methoden und Hilfsmitteln zur Entwicklung und Wartung großer Programmpakete zu sehen, sie
sind aber auch für die Entwicklung weniger komplexer Problemlösungen geeignet (vgl. z.B.
Goldschlager/Lister, 31990). Die damit verbundenen Problemlösungsschritte sind sowohl
beim Einsatz bereits fertiger Software (d.h. Anwendersysteme bzw. Benutzerprogramme) als
auch bei der Entwicklung neuer Software zu durchlaufen und somit für die
informationstechnische Grundbildung wie auch für den eigentlichen
Informatikunterricht eine Strukturierungsgrundlage der Unterrichtsplanung. Der
Problemlösungsprozeß mit Hilfe des Werkzeugs Computer vollzieht sich dabei in folgenden
fünf Schritten (vgl. vor allem Riedel, 1979):
Phase 1: Beschreiben und Analysieren des Problems
Da in der Schule im Gegensatz zu professionellen Systementwicklungen
informationstechnische Problemlösungen selten für einen externen Auftraggeber produziert
werden können, muß für den Unterricht zunächst ein realitätsnaher Praxisbereich bzw.
Anwendungsfall festgelegt werden. Dabei sind vom Unterrichtenden für die Problem- und
Zielformulierung vor allem die Motivation, die Erfahrung und die Betroffenheit der
Schüler zu berücksichtigen. Im Unterricht dient diese erste Phase insbesondere der
Eingrenzung eines möglichst exemplarischen Detailproblems, das dem Wissen und den
Fähigkeiten der Schüler angemessen ist.
Phase 2: Erarbeiten des Zielsund eines Modells des Problemlösungsablaufs
Ziel der Problemanalyse ist, die Anforderungen an das zu erstellende und künftig zu
benutzende System präzise zu bestimmen, mit dem das Problem gelöst werden kann und die
künftigen konkreten Benutzungsfälle zu bearbeiten sind (Stichwort für Informatiker:
Anforderungsdefinition). Mit der Modellbildung beginnt die Konstruktion der
Lösung. Der erste Schritt ist das Formulieren eines Modellansatzes. Der Modellansatz ist
die Zusammenfassung der zur Problemlösung wesentlichen Informationen. Er hat
deskriptiven, also statischen Charakter und dient der Beschreibung der
Komponenten des Systems sowie der funktionalen Zusammenhänge zwischen diesen. Im Rahmen
der Lösung praktischer Probleme ist der Modellansatz nicht zu trennen von seiner
operativen Anwendung, d.h. den dynamischen Ablaufstrukturen.
Phase 3: Entwerfen des detaillierten Problemlösungsablaufs und Aufbereiten des
Entwurfs hinsichtlich des Übertragens auf einen Computer
Die Operationen, die mit dem Modellansatz durchzuführen sind, bilden in ihrer
Gesamtheit zunächst einen Vorgang, in dem der Mensch als Prozessor auftritt. Durch die
Formulierung eines Algorithmus auf der Basis der Operationen des Prozessors
wird eine Transformation eingeleitet, die geeignet ist, den Prozessor Mensch durch den
Prozessor Computer zu ersetzen. Hierbei wird die Wichtigkeit deutlich, den Vorgang bei der
prinzipiellen Problemlösung und der Konstruktion des Modellansatzes von dem der
Konstruktion des Algorithmus zu unterscheiden.
Phase 4: Implementieren
Entweder Phase 4a: Codieren des Problemlösungsablaufs als Quell-Programm zur
Ausführung durch einen Computer und Testen des codierten Ablaufs mit dem Computer
Oder Phase 4b: (1.) Konfigurieren eines neuen Systems aus vorhandenen Bausteinen und
Testen des Gesamtsystems bzw. (2.) Modifizieren und ggf. Codieren eines Teils eines
bereits existierenden Quell-Programms, das dem erarbeiteten Modell und der Problemlösung
adäquat ist, einschließlich des Testens des Gesamtsystems bzw. (3.) Anpassen eines
komplexen Anwendersystems an die bestehenden Anforderungen einschließlich des
Durchführens entsprechender Tests
Oder Phase 4c: Vorbereiten und Testen von Benutzungsfällen eines Anwendersystems bzw.
Benutzerprogramms, d.h. einer bereits existierenden Standard-Software, die ohne weitere
Modifikationen direkt übernommen werden soll
In allen Möglichkeiten dieser Phase ist das End- ergebnis ein lauffähiges
Software-Produkt, das zur der anfänglich erarbeiteten Problemlösung führt und mit dem
die anstehenden Benutzungsfälle bearbeitet werden könnten. Allerdings werden die
inhaltlichen Schwerpunkte dieser Phase im Informatikunterricht andere sein als in der
informationstechnischen Grundbildung, was u.a. im nächsten LOG IN ausführlicher gezeigt
werden soll.
Im Informatikunterricht ist der Lernprozeß vorwiegend so zu initialisieren, daß die
algorithmische Formulierung der Modellansatz-Operationen zur Übersetzung in eine
entsprechende Programmiersprache führt, wobei Sprachen Anwendung finden sollten, die in
ihren Strukturen dem systematischen Problemlösungsprozeß weitgehend entsprechen. In
dieser Phase geht es um die Vermittlung bzw. Vertiefung und Anwendung der zu verwendenden
Sprach- und Datenstrukturen: Die Konstruktion von Software steht im Mittelpunkt.
Darüber hinaus ist stets zu prüfen, inwieweit das in der Phase 3 erarbeitete Modell
und die entsprechende Problemlösung in bereits existierender Software integriert sind.
Für den Informatikunterricht bedeutet dies zweierlei: Einerseits müssen ggf. nur Teile
der Problemlösung neu codiert werden, andererseits sind bereits existierende
Anwendersysteme unter dem Aspekt zu überprüfen, in welchem Umfang und in welcher Art sie
hinsichtlich der bestehenden Anforderungen zur Benutzung aufzubereiten sind.
In der informationstechnischen Grundbildung ist der Lernprozeß dagegen von vornherein
so zu organisieren, daß eine Übereinstimmung des erarbeiteten Problemlösungsmodells mit
demjenigen eines bereits vorliegenden Anwendersystems bzw. Benutzerprogramms gegeben ist.
Es ist dann nur zu untersuchen, inwieweit die anstehenden Benutzungsfälle auch
tatsächlich mit dem bereits vorhandenen System bearbeitet werden können.
Phase 5: Einsetzen des informationstechnischenSystems und Beurteilen des Einsatzes
Indem die operative Anwendung des Modellansatzes als ein automatischer Prozeß
implementiert, d.h. auf den Rechner übertragen wurde, ist ein neues Werkzeug entstanden,
das neuartige Tätigkeiten und Qualifikationen seiner Benutzer notwendig macht.
Gewöhnlich sind deshalb in Verwaltung und Produktion einschneidende organisatorische und
personelle Veränderungen notwendig. Diese Veränderungen betreffen sowohl die Schüler
als Individuen als auch die vielfältigen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Durch
die Betrachtung dieser Umwälzungen sollten die Schüler aus der Kenntnis der
Produktionsstufen zu der Einschätzung befähigt werden, ob der Einsatz des
automatisierten Systems den Menschen tatsächlich frei macht von unzumutbaren Tätigkeiten
oder ob er ihn weiterhin und in stärkerem Maße als bisher von seiner Arbeit entfremdet
und somit den Prozeß der Selbstverwirklichung durch Arbeit verhindert.
Informatische Gesamtbildung
Die Grenzen zwischen den Phasen 4a, 4b und 4c zeigen, daß bei Anwendungen der
Informatik stets zwischen ihrer Entwicklung und ihrer Benutzung zu unterscheiden ist: Bei
der Entwicklung werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Informatik unter
Heranziehen ihrer spezifischen Methoden anwendbar gemacht; bei der Benutzung werden die
Ergebnisse der Entwicklung auf einer realen Maschine angewandt. Der Unterschied zwischen
den Schwerpunkten einer informationstechnischen Grundbildung und einer vertiefenden
informationstechnischen Bildung wird hieran deutlich: In beiden Bildungsprozessen sind
Problemanalyse und -beschreibung bis hin zum Entwurf eines detaillierten Modells des
Problemlösungsablaufs identisch; die Schlußfolgerungen zum Einsatz eines
informationstechnischen Systems sind nur andere, indem im Informatikunterricht die
Problemlösung neu für ein solches System zu entwickeln, in der informationstechnischen
Grundbildung vor allem die Modellübereinstimmung zwischen bereits vorhandenem
Anwendersystem und der eigenen Anforderungsdefinition an das System zu überprüfen ist.
Das Beurteilen der Benutzung (Phase 5) ist wieder in entsprechender Weise in beiden
Bildungsprozessen identisch. Im Informatik- unterricht wird die Rolle des
Konstrukteurs betont, in der informationstechnischen Grundbildung die des
Benutzers.
Somit erfüllt die Struktur des Problemlösens zugleich mehrere Funktionen:
- Einerseits ist sie der prinzipielle didaktische Weg, um mit dem Werkzeug Computer im
Unterricht zu realitätsnahen Problemlösungen zu gelangen.
- Andererseits ist die Struktur Lerninhalt, der bei jedem Problem, das mit Hilfe diese
Werkzeugs gelöst werden soll, angewandt werden muß.
Darüber hinaus sind beim Computereinsatz in anderen Unterrichtsfächern didaktische
Prinzipien der Informatik in Teilbereichen anwendbar. Der Modellbildungsprozeß erhält
durch das informationstechnische System in bezug auf die Anwendung des fachbezogenen
Inhalts eine besondere Bedeutung. Denn es sollte undenkbar sein, den Rechner z.B.
zur Veranschaulichung bestimmter Prinzipien naturwissenschaftlicher Phänomene ohne
Detailkenntnisse des zugrundeliegenden Modells zu verwenden.
Integration der Problemlösungsschrittein die Unterrichtsplanung
Aus unseren Erfahrungen hat sich die Planung einer Unterrichtsstunde, die wiederum in
einer Unterrichtseinheit eingebettet ist (vgl. Bild 1, S. 20), nach folgendem Muster
bewährt:
Anfangsunterricht, ITGund Software-Bausteine
Im Rahmen des Anfangsunterrichts des Schulfaches Informatik und im Rahmen der
ITG, d.h. der informationstechnischen Grundbildung, wird in diesem
Zusammenhang die Verwendung von Software-Bausteinen im Unterricht am deutlichsten.
Voraussetzend ist zu berücksichtigen, das die ITG zwei unterrichtliche Erscheinungsformen
hat:
- Einerseits wird ein projektartiger, ggf. epochal organisierter Unterricht durchgeführt
wie z.B. in Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen (vgl. LOG IN
Sonderheft Informationstechnische Grundbildung, 1989).
- Andererseits wie in den anderen Bundesländern wird der Versuch
unternommen, informatische Inhalte in anderen Unterrichtsfächern als
Unterrichtsprinzip bzw. im Rahmen eines Leitfachs zu integrieren.
Beide Formen sollten nach Meinung der Autoren des vorliegenden Beitrags
in der Schule Eingang finden: Der projektartige Kurs ist die Voraussetzung dafür, daß
das Werkzeug Computer in anderen Fächern sinnvoll genutzt werden kann!
Wer den Computer als Werkzeug nutzen will, der muß bei den zur Lösung anstehenden
Problemen wissen, daß möglicherweise sein Problem schon längst im Prinzip
oder wie auch immer gelöst worden ist. Das heißt, daß beim
Problemlösungsweg immer nach dem Festlegen, was man will (vgl. Phase 2 im Bild 2, S. 22),
geprüft werden muß, zu welcher Klasse von Problemen das aktuelle gehört und inwieweit
ähnliche Probleme bereits mit dem entsprechenden Werkzeug gelöst worden sind. Ist
festgestellt worden, daß das aktuelle Problem tatsächlich in ähnlicher Form bereits
bearbeitet worden ist, müssen beide miteinander d.h. das aktuelle und das
ähnliche verglichen werden, um herauszufinden, inwieweit die bereits existierenden
Werkzeuge, also auch bereits vorhandene Software-Bausteine benutzt werden
können.
Als didaktische Konsequenz bei der Benutzung von Software-Bausteinen im Rahmen der ITG
und des Anfangsunterrichts in Informatik ergibt sich daraus folgendes: Es müssen
Qualifikationen gefördert werden, die die Schüler in die Lage versetzen, vorhandene
Software-Bausteine dahingehend überprüfen und beurteilen zu können, inwieweit sie zur
Lösung des anstehenden Problems genutzt werden können. Das bedeutet notwendigerweise,
nicht irgendein Programm bedienen zu können, sondern zu verstehen, welche Modelle, d.h.
auch welche Grenzen usw. in der zur Auswahl stehenden Software stecken. Dabei wird
deutlich, daß
- stets eine klare und präzise Anforderungsdefinition vorliegen muß, sobald Software mit
dem gewünschten Lösungsweg verglichen und angewandt werden soll.
- die Anwendersoftware mit den entsprechend dahinterstehenden Modellen und den vom
Hersteller intendierten Möglichkeiten und Grenzen dokumentiert und vom potentiellen
Benutzer verstanden werden kann.
- die Anwendersoftware und die Software-Bausteine so transparent sein müssen, daß das
dahinterstehende Modell von den Lernenden rasch erkannt und in seinem Wirkungsgefüge
nachvollzogen werden kann.
- zur Unterrichtsvorbereitung das Überprüfen von Software-Bausteinen auf ihre Eignung
für den Unterricht gehört. Notfalls müssen vom Lehrenden weitere Bausteine
selbsterstellt werden; das Anlegen entsprechender Baustein-Bibliotheken ist sehr
empfehlenswert (vgl. auch geplantes Thema von LOG IN Heft 494).
Man muß wissen, was man will und kann dann erst begründet auswählen oder
konstruieren.
Warnung als Fazit
Die Annahme, daß jeder Unterricht zur informatischen Bildung nach dem hier
vorgeschlagenen Schema der fünf Phasen (vgl. Bild 2, S. 22) ablaufen könne, ist jedoch
eine Fehleinschätzung. Das Fünf-Phasen-Schema soll eine Hilfe sein, wesentliche Merkmale
und Lernwege beim informatischen Bildungprozeß nicht außer acht zu lassen. Die
jeweiligen Lernvoraussetzungen, der Lerninhalt und mögliche Lernziele sind ebenso wie das
Lernvermögen der Schülerinnen und Schüler einschließlich der zur Verfügung stehenden
Unterrichtszeit zu berücksichtigen, um dann eigenständig eine Lehr- und Lern-Folge für
den Unterrichtsablauf zu planen. Dann wird mit großer Wahrscheinlichkeit die eine oder
andere Phase verstärkt werden müssen und wieder andere werden reduziert werden. Der
Entwurf einer Unterrichtsstunde ist und bleibt eine Sache der didaktisch-methodischen
Phantasie und Kreativität nur das professionelle Handwerkszeug muß vorhanden sein
und gehandhabt werden können.
Bernhard Koerber
Ingo-Rüdiger Peters
Freie Universität Berlin
Zentralinstitut für Fachdidaktiken
Habelschwerdter Allee 45
14195 Berlin
Literatur
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- Baumann, R.; Koerber, B.: Informatik in der Schule der 90er Jahre. In: LOG IN, 11
(1991), H. 6, S. 31-35.
- Becker; G.E.: Planung von Unterricht Handlungsorientierte Didaktik, Teil I.
Weinheim; Basel: Beltz Verlag, 31989.
- Becker; G.E.: Durchführung von Unterricht Handlungsorientierte Didaktik, Teil
II. Weinheim; Basel: Beltz Verlag, 31988.
- Becker; G.E.: Auswertung und Beurteilung von Unterricht Handlungsorientierte
Didaktik, Teil III. Weinheim; Basel: Beltz Verlag, 21988.
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Klett-Cotta, 71992.
- Frey, K.: Curriculum. In: L. Roth (Hrsg.): Handlexikon zur Erziehungswissenschaft.
München: Ehrenwirth, 1976, S. 76-85.
- Frey, K.: Die Projektmethode. Weinheim; Basel: Beltz Verlag, 31990.
- Goldschlager, L.; Lister, A.: Informatik Eine moderne Einführung. Reihe
Hanser Studienbücher. München; Wien: Verlag Carl Hanser, 31990.
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Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. Weinheim; Basel: Beltz Verlag, 21991.
- Koerber, B.: Management von Projekten im Unterricht. In: LOG IN, 12 (1992), H. 5/6, S.
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- Koerber, B.; Peters, I.-R.: Software-Bausteine im Unterricht. In: LOG IN, 9 (1989), H.
6, S. 28-36.
- Koerber, B.; Peters, I.-R.: Informatikunterricht und informationstechnische Grundbildung
ausgrenzen, abgrenzen oder integrieren? In: Troitzsch, K.G. (Hrsg.): Informatik als
Schlüssel zur Qualifikation GI-Fachtagung Informatik und Schule 1993.
Reihe Informatik aktuell. Berlin; Heidelberg u.a.: Springer-Verlag, S.
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- Lehmann, E.: Programmieren mit kleinen Tools Neue Möglichkeiten im
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- Lehmann, G.: Ziele im Informatikunterricht Beispiele für Einsatz und Stellenwert
von PROLOG im Unterricht. In: LOG IN, 12 (1992), H. 1, S. 26-30.
- Lehmann, G.: Ein Gesamtkonzept für die informatische Bildung tut not! In:
Schul-Computer-Jahrbuch Ausgabe 93/94. Hannover; Stuttgart: Metzler Schulbuchverlag;
B.G. Teubner, 1992, S. 31-42.
- Meyer, H.: Leitfaden zur Unterrichtsvorbereitung. Reihe Scriptor-Ratgeber
Schule, Band 6. Frankfurt/M.: Cornelsen Verlag Scriptor, 111991.
- Meyer, H.: UnterrichtsMethoden I Theorieband. Frankfurt/M.: Cornelsen Verlag
Scriptor, 51992.
- Meyer, H.: UnterrichtsMethoden II Praxisband. Frankfurt/M.: Cornelsen Verlag
Scriptor, 41991.
- Modrow, E.: Zur Didaktik des Informatik-Unterrrichts, Band 1 (Ziele und Inhalte
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- Modrow, E.: Zur Didaktik des Informatik-Unterrrichts, Band 2 (Gesellschaftliche
Auswirkungen Fachunterricht Abitur). Reihe Bausteine Informatik.
Bonn: Ferd. Dümmlers Verlag, 1992.
- Ott, H.J.: Software-Systementwicklung Praxisorientierte Verfahren und Methoden.
München; Wien: Carl Hanser Verlag, 1991.
- Otto, G.: Der Fachdidaktik einen neuen Anstoß geben. In: Pädagogik, 41 (1989), H. 1,
S.42-44.
- Penon, J.; Sack, L.; Witten, H.: Informationstechnik und Allgemeinbildung oder:
Brauchen wir die Didaktik der Informatik? In: LOG IN, 12 (1992), H. 2, S. 22-28.
- Riedel, D.: Grundsätze eines anwendungsorientierten Informatikunterrichts. In: INFO
Ein Informationsblatt zur Integration der Informatik in Berliner Schulen, 5 (1979),
H. 9/10, S. 12-49.
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