LOG IN Heft Nr. 126 (2003)

Die Rückkehr der Pioniere

Bereits vor mehr als fünfunddreißig Jahren standen Rechner als Unterrichtsinhalt in etlichen Schulen zur Debatte. Einige der ersten Pioniere setzten sie ein, ohne sie jedoch zu besitzen: Sie stanzten Lochkarten mit Programmiersprachen-Vokabeln voll und verschickten sie per Post an ein Großrechenzentrum (oder brachten sie wie beispielsweise beim IOWO-Projekt aus den Niederlanden bicycle online dort hin). Eine Woche später kam ein Päckchen zurück, und auf einem Schnelldrucker-Listing wurde den glücklichen Schülerinnen und Schülern mitgeteilt, dass in Zeile 27 ein Semikolon fehlte.

Dann kamen die ersten Rechner in den Schulen an, genauer gesagt, zunächst in der Sekundarstufe II. Ihre Software-Ausstattung bestand neben dem Betriebssystem aus kaum mehr als einem Editor und einer Programmiersprache. Das war den Akteuren damals mehr als genug, denn damit konnten sie zu jener Zeit alles machen, was mit Rechnern möglich war. Es ging vor allem um das Formulieren von Algorithmen in einer formalen Sprache, damit die Maschine zu einer beabsichtigten Abfolge von Rechenoperationen veranlasst werden konnte.

Die Männer und Frauen der ersten Stunde erlagen zumeist der Faszination der Maschinen, interagierten auf ihren Interessengebieten mit dem Rechenknecht und schlugen sich die Nächte um die Ohren. Und die Schüler erlebten den Computer als Werkzeug in Spaziergängen durchs Land der Abstraktion, bei dem die Beispiele oft nebensächlich waren.

Einige Zeit später erreichten begünstigt durch die Entstehung der ersten, damals Mikrocomputer genannten Geräte die Rechner auch die Sekundarstufe I. Die von der neuen Sucht Infizierten erlebten die gleiche Pionierphase wie die Kollegen der gymnasialen Oberstufe. Auch hier war das Entwerfen von Algorithmen und das Lösen von meist dafür speziell gestellten Problemen der Hauptinhalt des Unterrichts; teilweise wurden Computer aber auch schon als Werkzeug im naturwissenschaftlichen Unterricht benutzt. Den Informatik-Schülerinnen und -Schülern erschien die Maschine aber ähnlich wie denen in der Oberstufe. Auch die Faszination bei den Lehrkräften meist männlichen Geschlechts hatte ähnliche Ausprägungen, einschließlich der damit verbundenen Suchterscheinungen.

Aber die Geräte begannen, sich von den Jüngern der Abstraktion fortzubewegen. In der informationstechnischen Grundbildung wurde der Computer eine Tür zur späteren Berufswelt, nicht ohne eine andere Generation von Pionieren zu erzeugen, mit ähnlichen Auswirkungen auf alle Beteiligten.

Als die Fremdsprachenlehrer den Rechner für sich entdeckten, erblickten sie eine inzwischen zum Postboten mutierte Maschine, die in Windeseile Briefe an Partnerschulen transportierte und damit eine Umwälzung der Motivationslage der Lernenden bewirkte. In die elektronischen Briefumschläge konnte man sogar Fotos stecken. Kurz danach stellte man die Ergebnisse der Briefprojekte auf Web-Seiten aus der Rechner als weltweite Plakatwand! Eine neue Generation von Pionieren war geboren, mit entsprechenden Begleiterscheinungen.

Jetzt sickern die Maschinen in die Grundschulen. Die Softwareausstattung und Rechenfähigkeit hat sich bei annähernd gleichbleibenden Preisen so verändert, dass man heute mit einem Standardrechner aus einem Billig-Supermarkt eine ungeheure Menge an Multimedia-Aktivitäten entfalten kann. Die Kinder erleben den Rechner als Quiz-Master, als Maler, Sänger, Fremdsprachler, Kameramann, Mathe-Trainer oder einfach als Spielkamerad. Auch die beteiligten Kolleginnen und Kollegen sind wieder Pioniere, denn für sie ist alles neu. Der Umschwung ist daran zu erkennen, dass Politiker nicht mehr von Computerwissen oder Informationstechnik, sondern von Medienkompetenz reden. Im Bewusstsein der politisch Verantwortlichen ist die Maschine auf ihre Funktion als vernetzter Medien-Clown reduziert.

Aber es gibt sie noch, die frühen Pioniere und ihre direkten Nachfolger! Sie halten das Banner der Algorithmen und Daten, der Struktur und Abstraktion, der Modellierung und der Auswirkungen hoch. Doch haben sie die Veränderungen der Welt wahrgenommen? Sie sind bei der Auswahl ihrer Themen nicht mehr auf character und integer beschränkt. Durch die enorm gesteigerte Leistungsfähigkeit der Maschinen einerseits und die Verfügbarkeit freier Programmbibliotheken und patentfreier Formate andererseits ist heute fast jeder Stoff, auch der multimediale, als Thema im Informatikunterricht behandelbar. Voraussetzung ist die geeignete didaktische Aufbereitung, was allerdings nicht zu unterschätzen ist!

Damit dies gelingt, soll das vorliegende Heft einen Beitrag leisten. Es bietet Anregungen für die Verarbeitung und Erzeugung von Audiodaten im Anfangsunterricht mit JAVA. Gezeigt werden darüber hinaus Beispiele zur Erzeugung und Bearbeitung von Tönen in Form von Wave-Dateien in PYTHON. Ein weiteres Beispiel zur funktionalen Programmierung mit einer interessanten Sprache namens Q belegt, dass spezifisch informatische Inhalte sich auch durchaus gut mit Multimedia vertragen. Außerdem enthält dieses Heft einen Beitrag, in dem Musik unter mathematischem Gesichtspunkt modelliert und gezeigt wird, welche interessanten Folgerungen sich aus diesem Ansatz ergeben. Damit soll sich der Kreis zwischen Multimediaund informatischer Kompetenz schließen.

Werner Arnhold
Bernhard Koerber