LOG IN Heft Nr. 122/123 (2003)

Software-Test


Ulead-Video-Studio 6

Der Traum von Hollywood: Videosoftware 

    Der Multimedia-Markt boomt: Jeder will alles, die Computer überschlagen sich in Rechengeschwindigkeit, und dem potenziellen Käufer wird suggeriert: „Alles ist möglich – auch für dich“. In den Regalen der entsprechenden Geschäfte gibt es für wenig Geld fast alles. Wer eine Digitalkamera hat, benötigt unbedingt ein Softwarewerkzeug, um eine automatische Diaschau über den DVD-Player auf CD realisieren zu können, und wer eine digitale Videokamera besitzt, der wird – fast automatisch – Filmregisseur in eigener Sache. Was in analogen Zeiten – früher hätte man gesagt in „alten“ Zeiten – nur Profis vorbehalten war, ist heute in einem Softwarepaket integriert, das für weniger als 100 Euro zu haben ist.

    Wer hat heute keine Digitalkamera und keine digitale Videokamera? Auch in der Schule sind diese Werkzeuge offenbar unentbehrlich, denn die Schul-Homepage, die Klassenbilder – alles, was man auch in der Schule erlebt – muss heutzutage digital festgehalten und verarbeitet werden können. Zahlreiche Wettbewerbe locken mit mehr oder weniger wertvollen Preisen. Auf jeden Fall glauben viele Lehrer, dass Schüler damit neu zu motivieren seien, was ja auch nicht verkehrt ist. Medienerziehung gehörte seit alters in die Schule, und heute scheint die Notwendigkeit fast übermächtig zu sein, glaubt man der Presse und dem Fernsehen.
    Also ran an die Software, mit der man die neuen Welten erschließen kann. Die Firma Ulead hat sich auf Multimedia-Werkzeuge für jedermann spezialisiert und vertreibt – neben Bildorganisations-, CD- und DVD-Brennprogrammen – auch das Video-Studio, derzeit in der Version 7. Uns stand zum Test die Version 6 zur Verfügung. Dem Käufer wird suggeriert, dass er durch die Software direkt im Regiestuhl säße und sofort in der Lage sei, Filme professionell zu produzieren – für zu Hause, für die Arbeit usw.
    Hier muss zuerst einmal mit der Mär aufgeräumt werden, Filme produzieren könne wirklich jeder. „Kinderleicht“ ist eine solche Produktion schon überhaupt nicht! Wer sich dazu noch mit Digital-Video beschäftigt, sollte sich zuvor in das Vokabular und die dahinter stehenden technischen Prinzipien einlesen, um wirklich zu wissen, worin sich MPEG1 von AVI unterscheidet oder um den Unterschied zwischen VCD, SVCD und DVD beschreiben zu können. Denn irgendwann wird die Entscheidung zu treffen sein, was man warum machen muss. Man sollte auch die Begriffe Storyboard und Timeline kennen, um sich später im Programm orientieren zu können. Wer ohne dieses Wissen an solche Programme herangeht, wird schnell frustriert sein und das wirklich brauchbare Werkzeug enttäuscht zur Seite legen.
    Als Rezensent gestehe ich, dass es – trotz hinreichender Erfahrung im analogen Videoschnitt – bei mir ein Vierteljahr gedauert hat, bis ich mich mit dem Programm angefreundet hatte, und mich immer wieder meinen analogen Video-Schnittwerkzeugen zugewandt habe, um schnell verwendbare Ergebnisse zu erzielen.
    Vielleicht hat es auch etwas mit dem Handbuch zu tun, das dem Anfänger wenig Orientierungshilfe bietet. Denn die viel gepriesene „intuitive Bedienung“ wird erst verstanden haben, wer lange und oft vergeblich mit dem Programm gearbeitet hat. Die deutschen Übersetzungen treffen oftmals den Verwendungskern nicht und lassen den Nutzer am Anfang ziemlich allein. Man wird im Text auf Menüs hingewiesen, die allein durch ein Symbol auf dem Desktop präsent sind, das man vorher natürlich übersehen hat, ohne dass eine zusätzliche Abbildung auf dieses Piktogramm hinweist. Unter dem Menüpunkt Beenden sind die eigentlichen Aktionen zur Herstellung des Endprodukts verborgen. (Das ist allerdings in der Version 7 verbessert worden!)
    So verliert man viel wertvolle Zeit im Ausprobieren bestimmter Schaltflächen, Piktogramme und Menüs, ohne das tatsächlich vorliegende Problem zu lösen. Das ist dann oft der Zeitpunkt, wo man das Programm wieder ergebnislos geschlossen hat und der Zweifel über diese Art der Videobearbeitung übermächtig wird – bis man sich dann doch wieder heransetzt, nachdem man das Handbuch das vierte Mal gelesen hat, ohne der Problemlösung näher gekommen zu sein. Da hilft letztlich nur noch Verbissenheit – nach dem Motto „Irgendwo muss es doch sein“. Man kommt dann tatsächlich irgendwann zum Ziel mit dem berühmten Schlag an die Stirn und dem bekannten Ausruf: „Ach hier!“ Denn die Software beinhaltet wirklich alles, was zu qualitativ gutem Videoschnitt erforderlich ist.
    Am Anfang steht das „Projekt“, was immer darunter verstanden wird. Denn zu jedem neuen Video-Produkt ist ein Projekt zu eröffnen. Der nächste Schritt ist dann der, den so genannten Video-Stream auf die Festplatte zu bringen. Hier gilt es schon, wesentliche Dinge zu definieren, um den späteren Frust gering zu halten. Hat man z.B. zu wenig Plattenspeicher (10 GByte ist das Minimum), ist man schon das erste Mal ratlos. Nimmt man sofort in MPEG auf, hat man keine Szenenerkennung, wird aber darauf auch nicht aufmerksam gemacht. Wer will sich schon immer mit einem 30-Minuten-Trail auseinander setzen? Nimmt man aber gleich in AVI auf, braucht man anscheinend unendlich viel Speicher, man hat aber dann auch eine automatische Szenenerkennung auf der Basis des digitalen Time-Codes. Nur, das ist im Handbuch zwar ausgedrückt, aber anfangs nicht so recht verständlich. Wenn dann signalisiert wird, dass die Platte voll sei, sagt niemand, dass man noch zusätzlichen Reservespeicher benötigt, um eine Videovorschau zu ermöglichen. Schließlich will man ja seine zusammengeschnittenen Teilergebnisse auch sehen. Außerdem empfiehlt es sich, die generierten Szenen aus dem Storyboard zu löschen, weil man es sonst im Zeitachsenmodus mit endlosen Teilbildern zu tun hat. Damit löscht
man dann aber keineswegs die AVI-Dateien. Die kann und sollte man aber tunlichst vom Storyboard löschen, wenn man Szenen findet, die misslungen sind oder nicht benötigt werden.
    Das Löschen erfolgt in zwei Stufen: Zuerst löscht man das Miniaturbild aus dem Storyboard und in der zweiten Stufe kann man dann die AVI-Datei von der Platte entfernen. Das schafft den so notwendigen Speicherplatz. Man muss dabei bedenken, dass eine Minute AVI-Datei ca. 250 MByte benötigt. Kein Wunder also, dass der Speicherumfang auf neueren Rechnern mit 200 GByte durchaus nicht zu groß bemessen ist.
    Nun lassen sich – wirklich verhältnismäßig einfach – die Video- szenen bildgenau beschneiden und durch „Drag and Drop“ aneinander fügen. Das Platzieren der Übergänge zwischen den Szenen lässt sich nur im Storyboard realisieren. Es stehen eine Menge Szenenübergänge als Auswahl zur Verfügung. Hier kann nur der selbst ernannte „Regisseur“ entscheiden, was für welchen Szenenablauf gut ist.
    Weiterhin sollte man darauf achten, ob der Originalton des Videos in voller Kraft auch auf dem späteren Endprodukt zu hören sein soll. Hier kann man nämlich pro Szene den Prozentsatz der Lautstärke festlegen und einstellen, ob der Originalton an- oder abschwellen soll. Für eine weitere Vertonung des Videos kann das von entscheidender Bedeutung sein, wenn der Originalton einen zusätzlichen Kommentar nicht überlagern soll. An dieser Stelle sei auch einmal darauf hingewiesen, dass das Werkzeugsymbol unter dem Vorschau-Bildschirm die Grundeinstellungen beherbergt, die man dann hier variieren und modifizieren kann. Im Handbuch wird von einem Menü „Einstellungen“ gesprochen, was man natürlich unter dem Menü nicht findet.
Eine Möglichkeit des Überlagerns von verschiedenen Videosequenzen bildet eine zweite Video-Spur. So ist es zum Beispiel möglich, unter eine Videosequenz eine Karte einzublenden, die über ein Grafiksystem erstellt worden ist. Hier kann dann auch die Transparenz eingestellt und eine entsprechende Überlagerung hergestellt werden.
    Wenn dann die Szenen zu einem Ganzen zusammengefügt sind, sollte man den Film schon in einem ersten Durchlauf auf das Format berechnen und damit zusammenstellen lassen, das später auch genutzt werden soll, also MPEG1 oder MPEG2. Dies ist sehr rechenintensiv. Das Projekt und die Original-Dateien sind dann allerdings noch nicht zu löschen. Sollte man nämlich jetzt noch Veränderungen machen wollen, ist das nur unter den Projektverknüpfungen, hinter denen die einzelnen Szenen mit den gewählten Übergängen stehen, möglich. Vielleicht sollte man sich jetzt erst einmal das teilfertige Produkt anschauen. Denn, wenn man bis hierher gekommen ist, hat man schon viel geschafft.
    Dann kann es an das „Betiteln“ gehen. Der Vorteil der digitalen Schnittsysteme ist ja, dass man an jeder Stelle des bereits berechneten Films auf einer separaten Achse Titel mit entsprechenden Animationen platzieren kann. Dass Roll- und Lauftitel unter dem Synonym „Fliegen“ zu verarbeiten sind, ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Ansonsten ist der Titelgenerator wie ein Textsystem zu bedienen, und für die Zeichenformatierung stehen auch alle aus Textsystemen bekannten Werkzeuge zur Verfügung. Nur Sonderzeichen machen einige Probleme. Eine Vorgabe von Standard-Titeln kann man benutzen, aber das ist dann auch Geschmacksache, ob man diese Vorgaben verwenden will. Wer sichergehen will, sollte den betitelten Videofilm neu berechnen lassen. Der Vorteil ist, dass man danach wieder alle Spuren frei hat, um neue Überlagerungen, andere zusätzliche Titel usw. hinzufügen zu können. Jede Aktion ist mit der unscheinbaren Schaltfläche Anwenden zu bestätigen.
Ulead-Video-Studio bietet zwei zusätzliche Tonspuren an: eine für Kommentare und eine weitere für das Unterlegen von Musik oder anderen Tonquellen. Zwei Tonspuren lassen natürlich keine professionelle Neuvertonung des Videos zu, sind aber für kleinere schulische Hobby-Produktionen durchaus ausreichend. Hier ist man allerdings weitgehend auf die Sound-Möglichkeiten des Rechners angewiesen. Das Programm sucht sich ein CD-ROM-Laufwerk und kann direkt von diesem Laufwerk Sound-Dateien im WAV-Format aufnehmen. Auch hier sollte man die Datei aus dem Storyboard löschen und ins Archiv einfügen, bevor man sie verwendet. Die genaue Platzierung, die Lautstärken-Vorwahl sollte man dann schon am fertigen Film aus dem Storyboard hinzufügen. Es sollte bedacht werden, dass auch WAV-Dateien recht speicherintensiv sind. Es können aber auch MP3-Dateien eingefügt werden. Wenn man die Hintergrundmusik auf 70% der Lautstärke festlegt, hat man gute Ergebnisse.
Einen eigenen Kommentar kann man auf der zweiten Tonleiste, die durch ein Mikrofon symbolisiert ist, direkt am Bildschirm aufsprechen. Der Mikrofoneingang an der Soundkarte wird von Video-Studio unterstützt. Man kann allerdings den Ton während der Aufnahme nicht mithören, was die Lautstärken-Einpegelung ein wenig erschwert. Da man aber in der Regel nur kurze
Sequenzen mit einem Kommentar versieht, ist die nachträgliche Korrektur entsprechend einfach. Auf der Zeitachse ist dann der Kommentar bildgenau platzierbar. Hier empfiehlt es sich, die Lautstärke regelmäßig mit 100% anzugeben, denn auf den Kommentar kommt es ja meistens an.
Nun sind Bildsequenz, Originalton, Musik und Kommentar vorhanden. Eine letzte Neuberechnung fügt alles zu einem Produkt zusammen: Das Produkt ist fertig. Mit dem VideoStudio kann auch gleich eine VCD, SVCD oder DVD gebrannt werden. Damit ist alles auf der 5-Zoll-Plastikscheibe festgehalten, die über jeden DVD-Player wiedergegeben werden kann.
    
    Trotz allem muss man feststellen, dass mit der Software für jeden engagierten Video-Produzenten ein Traum in Erfüllung geht: Es ist alles machbar, was man früher nur gewünscht hat und sich oft aus Kostengründen nicht leisten konnte. Heute beherbergt die Software für geringes Entgelt Produktions- und Gestaltungsmöglichkeiten, die bisher nur professionellen Gestaltern vorbehalten waren. Man darf auch getrost den nächsten Generationen der Software entgegensehen. Sie werden noch mehr Möglichkeiten und Werkzeuge bieten.
Und es werden noch mehr Menschen diese Software nutzen. Die Ergebnisse werden so sein wie bei den ersten Desktop-Publishing-Systemen. Jeder wird versuchen, aus seiner laienhaften Kenntnis heraus Dinge zu tun, für die Profis nicht ohne Grund lange Studien- und Ausbildungszeiten in Kauf genommen haben. Es wird auch niemand da sein, der sich diese dilettantische Arbeit ansehen möchte. Vielleicht wird man dann auch dahinter kommen, dass trotz perfekter Wekzeuge kein Meister vom Himmel fällt. Es gehört eben doch etwas mehr als ein perfektes Werkzeug dazu, eine Video-Produktion zu gestalten: nämlich das Wissen, wie diese Werkzeuge virtuos genutzt werden. Wenn man dann den dritten oder vierten Videofilm bearbeitet hat, wird man den Aussagen des Herstellers folgen können: Es ist alles ganz einfach und geht fast intuitiv – nur bis dahin dauert es erfahrungsgemäß ganz schön lange!

Ingo-Rüdiger Peters