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[2000]

 


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LOG IN 21 (2001) Heft 1

Editorial

 

Babylonisches Sprachengewirr

    1976 war die Welt noch in Ordnung – zumindest, was die Programmiersprachen im Informatikunterricht betraf. Denn seit dieser Zeit war klar, welche Programmiersprache im Unterricht einzusetzen sei: entweder PASCAL oder ELAN und sonst nichts.

    Es hatte nämlich der die damalige Bundesregierung beratende (so hoch waren die Entscheidungen angesiedelt!) "Arbeitskreis Schulsprache" unter der Leitung des Bremer Hochschullehrers Klaus Haefner in seiner Veröffentlichung "Empfehlungen, Ergebnisse, Abschlußbericht und Stellungnahme zu BASIC" (erschienen 1976 beim FEoLL in Paderborn) festgestellt, dass BASIC für die geistige Entwicklung der Schülerinnen und Schüler nichts Vernünftiges sei und ausschließlich die beiden oben genannten Programmiersprachen – auch zum Bedauern der LOGO-Anhänger – empfohlen. Der Siegeszug von PASCAL in der Schule begann, denn ELAN konnte sich wegen fehlender wirtschaftlicher Unterstützung nie durchsetzen. Die bundesrepublikanische Welt "sprach" PASCAL, und BASIC wurde etwas für geistig Minderbemittelte.

    Bekanntlich legen aber Informatiker ihre Hände nicht in den Schoß, und so schloss Niklaus Wirth, der bereits von 1968 bis 1972 PASCAL entwickelt hatte, an der ETH Zürich 1980 die Arbeiten an einem "besseren" PASCAL, und zwar an MODULA-2, ab. Wer als Informatiklehrer etwas auf sich hielt, musste daher unbedingt seinen Unterricht umstellen und blickte geringschätzig auf die immer noch PASCAL sprechenden Kolleginnen und Kollegen herab, zumal Wirth in den Jahren 1983 bis 1985 den MODULA-2-Compiler für nahezu alle existierenden Prozessoren optimierte.

    Allerdings zeichnete sich zu diesen Zeiten bereits ab, dass auch höhere, problemorientierte Programmiersprachen gelegentlichen "Paradigmenwechseln" unterliegen. Und plötzlich brachen neben dem imperativ-prozeduralen Paradigma neue Programmiersprachen-Paradigmen über die PASCAL-Fans herein. Begriffe wie funktional, objektorientiert, deklarativ, logisch oder gar relational gaben den Lehrenden das Gefühl, sich mindestens noch in SCHEME, C++, PROLOG oder SQL fit zu machen, ganz zu schweigen davon, dass Niklaus Wirth sich nach der Rückkehr von einem Aufenthalt im Xerox Palo Alto Research Center ausgiebig seit 1986 mit der Entwicklung von OBERON befasste. Auch andere Namen tauchten noch – zumindest in der Hochschulausbildung der Informatiker – auf, z.B. MIRANDA, HASKELL, SIMULA, SETL, OCCAM, EIFFEL, PYTHON und – vor allem in wirtschaftlichen und militärischen Bereichen – ADA, PERL, Visual-BASIC, JAVA, DELPHI. Das babylonische Sprachengewirr nahm – bis heute – seinen Lauf.

    Nun wird ja bekanntlich unter einem "Paradigma" (aus dem Griechischen: Beispiel, Muster) im Allgemeinen eine Reihe von Annahmen, Methoden und grundsätzlichen Problemen verstanden, mit deren Hilfe eine wissenschaftliche Gemeinschaft festlegt, welche die für sie wichtigsten Probleme sind und auf welche Weise diese am besten gelöst werden könnten. Bei den höheren Programmiersprachen waren noch Ende der Siebzigerjahre die imperativ-prozeduralen Sprachen gang und gäbe für die Lösung der zu bearbeitenden Probleme, und PASCAL war für einige Zeit der modernste Vertreter. Jedes Paradigma ermöglicht zwar einerseits Einsichten in größere Erklärungszusammenhänge, bewirkt aber andererseits auch eine Art Blindheit, indem es andere Möglichkeiten nahezu ausschließt. So hat beispielsweise Galileos Entdeckung, dass der Jupiter einige Monde hat, zum Ende der Ptolemäischen Astronomie geführt. Wissenschaftliche Paradigmenwechsel sind daher unvermeidlich und notwendig, solange Theorien unvollständig sind oder nur ein Teil der Wirklichkeit erklären können – wie auch mithilfe von Programmiersprachen immer nur ein Teil der Wirklichkeit abgebildet werden kann. Vielleicht ist es deshalb für den einen oder anderen beängstigend, mit der Gewissheit zu leben, dass der nächste Paradigmenwechsel in der Informatik immer von Neuem vor der Tür steht.

    Doch informatisch Gebildete sollte dies nicht irritieren, denn sie wissen, dass eigentlich die Frage im Mittelpunkt steht, welches adäquate Werkzeug zur Lösung eines ganz bestimmten Problems genutzt werden kann, und nicht die Frage, welches bestimmte Werkzeug genommen werden muss, um alle Probleme damit zu lösen. Und so stehen vor allem im Informatikunterricht die Problemlösungsphase, der Modellbildungsprozess und letztlich die Benutzungsphase, d.h. die Bewährungsprüfung dessen, was konstruiert worden ist, im Vordergrund. Programmiersprachen sind dabei stets nur ein Hilfsmittel, um die daran geknüpften allgemein bildenden Ziele zu erreichen. In LOG IN wurde schon des Öfteren eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten dieser Hilfsmittel vorgelegt (erstmals im Heft 3/1983 "Programmiersprachen"). Auch die Bilanz, die in diesem Heft vorgestellt wird, kann daher nur eine Zwischenbilanz sein.

Rüdeger Baumann
Bernhard Koerber