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[2000]

 


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LOG IN 20 (2000) Heft 6

 

Visionen für das 21. Jahrhundert

 

Visionen sind nichts anderes als Strategien des Handelns. Das ist es, was sie von Utopien unterscheidet.
Roman Herzog,
Hotel Adlon, Berlin, am 26. April 1997

 

    Mittlerweile ist der "Aufbruch ins 21. Jahrhundert" schon Geschichte – nicht nur, weil das 21. Jahrhundert und damit auch das dritte Jahrtausend mit dem Beginn des Jahres 2001 tatsächlich begonnen haben, sondern weil der Alltag wieder eingekehrt ist. Trotzdem soll mit dieser und auch der nächsten Ausgabe von LOG IN der Versuch unternommen werden, kurz inne zu halten, um darüber nachzudenken, welche Entwicklungen bei Computer-Anwendungen – oder genauer: bei Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologie – bereits heute abzusehen sind.

    Dieses Innehalten und Nachdenken hat seinen Grund darin, dass Bildung nicht nur darin besteht, in die Vergangenheit blicken zu können, sondern vor allem darin, künftige Entwicklungen mit all ihren Herausforderungen, mit all ihren Chancen und Gefahren vorausschauend begegnen zu können. Visionen, in dem Sinne, wie sie der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog in seiner "Ruck"-Rede 1997 verstanden hat, sind dabei eine große Hilfe.

    Nicht von einem "historischen Computer-Materialismus", wie ihn beispielsweise Hans Moravec vertritt, soll hier die Rede sein, sondern von bereits heute real angepackten Projekten, in denen das Zusammenwirken von Mensch und Maschine deutlich wird. In dem 1999 erschienenen Buch "Computer übernehmen die Macht – Vom Siegeszug der künstlichen Intelligenz" entwirft Moravec unter anderem folgendes Szenario: Ein vollständig automatisierter Chirurg öffnet die Schädeldecke eines Menschen und trägt mit einer hoch empfindlichen Apparatur Schicht für Schicht des Gehirns ab. Die chemisch-neuronale Struktur jeder Gehirnschicht wird in ein digitales Programm übersetzt, das auf einen bereits wartenden Roboter herunter geladen wird. Während sich der menschliche Kopf leert und der Körper schließlich stirbt, kann sich der "Geist" in der neuen Hülle erst so richtig entfalten.

    Von solchen Techno-Utopien soll hier also nicht die Rede sein. Vielmehr soll aufgezeigt werden, welche Tendenzen tatsächlich in der Forschung und in der Umsetzung der Forschungsergebnisse für den Alltag eingeschlagen werden. Und da sind es vor allem drei Entwicklungslinien, die heute festgestellt werden können:

  • eine weitere Miniaturisierung der informations- und kommunikationstechnischen Geräte bis in kleinste Nanostrukturen hinein,
  • ein immer umfassender werdendes Einbeziehen menschlichen Wissens als Basis für Rechner gestützte Entscheidungen,
  • eine immer engmaschiger werdende Vernetzung der mit Informations- und Kommunikationstechnik versehenen Geräte.

    Die Miniaturisierung bedeutet, dass Computerleistungen immer stärker Eingang in Alltagsgeräte finden – es wird von "eingebetteten Systemen" bzw. von "pervasive computing" gesprochen. Das Einbeziehen menschlichen Wissens bedeutet, dass bei der fortschreitenden Symbiose zwischen Mensch und Maschine der Mensch immer noch in der Lage sein muss, die von Maschinen vorgelegten Entscheidungen zu beurteilen, um sie letztlich zu akzeptieren oder abzulehnen. Und die immer engmaschiger werdende Vernetzung bedeutet, dass besonders die Gefahren oder die Chancen dieser Technologie entscheidend sind: Entweder wird durch die Schaffung undurchschaubarer Systeme ein ebenso undurchschaubares Ausgeliefertsein des Menschen erzeugt, oder es wird ein neues Zeitalter der "Aufklärung" entstehen, das wieder als "Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" – wie vormals von Immanuel Kant – definiert werden kann. Moderne Begriffe wie "Wissensgesellschaft" oder "Wissensmanagement" gewinnen damit eine nicht nur aktuell gemeinte Bedeutung.

    In allen drei Entwicklungstendenzen wird deutlich, dass Bildung die zentrale Rolle übernehmen muss, um den künftigen Herausforderungen zu begegnen. Und es wird damit auch deutlich, das diejenigen, die sich mit Bildung beschäftigten, mindestens in Zehn-Jahres-Rhythmen im Voraus planen müssen. Denn die Wirkung der Bildungsmaßnahmen, die aktuell eingeleitet werden, wird sich generell erst in einem solchen Zeitraum überhaupt auswirken. Mit der politischen ad-hoc-Lösung "Green Card" ist im Grunde – endlich – deutlich geworden, was in den letzten 10 bis 15 Jahren in der Bildung versäumt worden ist. Doch wie stets, wenn es um Bildung geht, ist die eigentliche, leider in keiner Weise vermeidbare Kärrnerarbeit nicht von politischen Sonntagsrednern zu leisten, sondern von jeder einzelnen Lehrperson in jeder einzelnen Schule. Dabei soll dieses Heft helfen.

Bernhard Koerber
Sigrid Schubert
Andreas Schwill