LOG IN Leitseite

[2000]

 


log-in_small.gif (418 Byte)


LOG IN: 19 (1999) Heft 2

Versuche zur Bewältigung von Komplexität

Das aus dem Griechischen stammende Wort "Philosophie" läßt sich als Begriff von "Liebe zur Weisheit, zum Wissen" ableiten. Die Antwort auf die Frage aber, was denn Philosophie tatsächlich sei, ist so vielfältig, wie es Philosophen während der gesamten Menschheitsgeschichte gegeben hat.

    Der aus Prag stammende Philosoph und Mathematiker Bernhard Bolzano verstand unter Philosophie "die Wissenschaft von dem objectiven Zusammenhange aller derjenigen Wahrheiten, in deren letzte Gründe nach Möglichkeit einzudringen, wir uns zu einer Aufgabe machen, um dadurch weiser und besser zu werden". Aber er fügte - weil er seine Philosophie-Kollegen gut kannte - hinzu: "Wer nun mit dieser Erklärung sich nicht zufrieden geben will (und wir wissen im Voraus, daß sie gar Vielen nicht anstehen, ja lächerlich vorkommen werde), der hätte eigentlich Eines von Beiden zu leisten, entweder sollte er nachweisen, daß wir hier den Begriff, den der gemeine Sprachgebrauch mit dem Worte Philosophie verbindet, nicht richtig angegeben haben; oder er sollte nachweisen, daß dieser Begriff nicht der zweckmäßigste sey, und einen besseren, edleren, erhabeneren uns kennen lehren. Was auch von Beiden geschähe, geschähe es nur in verständlicher Weise: wir würden den herzlichsten, freudigsten Antheil daran nehmen" (aus seinem posthum 1849 in Wien erschienenen Buch "Was ist Philosophie?"). An dieser Stelle soll deshalb nicht gewagt werden, einen eigenen Philosophiebegriff diesen beiden Kriterien zu unterwerfen.

    Von Bedeutung ist vielmehr, daß Bolzanos Verständnis von Philosophie in zwei Richtungen weist: Es geht einerseits um den Zusammenhang von Wahrheiten und deren letzte Gründe, andererseits wird Philosophie betrieben, "um dadurch weiser und besser zu werden", sich also zu verändern.

    Auch das Verständnis darüber, was denn Informatik sei, weist eine Fülle unterschiedlicher Aspekte auf. Und auch hier wird deutlich, daß es in der Informatik um das Erkennen - ja sogar Modellieren - der "Zusammenhänge von Wahrheiten" geht, um dadurch - und zwar aufgrund der sich daraus ergebenen Anwendungen - Änderungen in der Wirklichkeit herbeizuführen. Je mehr aber die "Zusammenhänge von Wahrheiten" aufgedeckt werden, desto deutlicher wird, wie diese Zusammenhänge in ihrer Komplexität die Möglichkeiten menschlichen Wahrnehmens und Erkennens übersteigen. Hier ergänzen sich - so die These - Philosophie und Informatik!

    In der Theorie der komplexen Systeme, die zunächst ihren Ursprung in der statistischen Mechanik hatte, werden Systeme mit ihren vielen Einzelteilen betrachtet. Bereits Jules Henri Poincaré machte am Beispiel der Astronomie deutlich, daß es nicht mehr genügt, kausale Verhältnisse linear zu berechnen: Zu den bislang als linear gedeuteten Wechselwirkungen zwischen Mond und Erde sind letzlich auch die Wirkungen der Sonne, der Planeten des Sonnensystems und der vielen anderen Sterne einzubeziehen. Poincaré konnte bereits Ende vorigen Jahrhunderts zeigen, daß ein solches "Mehrkörperproblem" sich nur noch durch nichtlineare Gleichungen darstellen läßt, die nicht mehr eindeutig, sondern nur approximativ lösbar sind. Erst heute aber ist es aufgrund der Rechenleistungen von Computern möglich, solche Approximationen durchzuführen und sie sogar durch entsprechende Computerbilder - wie beispielsweise in der Chaostheorie - zu visualiesieren.

    Klaus Mainzer, Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Informatik an der Universität Augsburg, setzt sich gegenwärtig in zahlreichen Aufsätzen und Büchern mit der Theorie komplexer Systeme und den damit verknüpften erkenntnistheoretischen Fragen ausführlich auseinander. Er macht deutlich, daß Fragen, die die „Zusammenhänge von Wahrheiten“ betreffen nur interdisziplinär gelöst werden können und sieht mittlerweile eine evolutionäre Entwicklung der Informatik von der „Künstlichen Intelligenz“ über das „Künstliche Leben“ zum „Künstlichen Bewußtsein“, sofern die Grundbedingungen der Selbstorganisation komplexer Systeme einbezogen werden können. Nur mit Computern kann Komplexität dieser Art bewältigt werden und zu neuen Erkenntnissen führen. Doch mit den gewonnenen Ergebnissen geht immer noch die alte Angst vor maschinellem „Denken“ und dem „Elektronenhirn“ einher.

    Der französische Literaturhistoriker und Philosoph Pierre Bertaux brachte es (1967) mit einem Vergleich auf den Punkt: „Die Frage: ,Denkt die Maschine, oder denkt sie nicht?` ist eine falsche Frage, wie sie nur im Rahmen unseres unzulänglichen Sprachgebrauchs möglich ist. […] Wem würde es einfallen, zu fragen, ob das Auto fährt oder nicht fährt. Bereits ein fünfjähriges Kind sagt: ,Ja, das Auto fährt, aber es fährt nicht von allein, es muß schon einer das Auto fahren.`“ LOG IN soll dabei helfen, das Fahren zu lernen.

Rüdeger Baumann
Bernhard Koerber
Andreas Schwill