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LOG IN: 18 (1998) Heft 3/4: Editorial


Suchen und Finden

Eine »unendliche Geschichte«

Beim Thema "Suchen und Finden" steigt sofort die Bergpredigt aus der Erinnerung: "Suchet, so werdet Ihr finden" (Matt. 7,7). Aber dies ist in einem übertragenen, spirituellen Sinn gemeint – für Jäger und Sammler war "Suchen und Finden" dagegen bereits aus materieller Sicht über- lebensnotwendig. Nach den indogermanischen Wurzeln unserer Sprache bezog sich suchen auf den Jagdhund, der witternd die Fährte aufnimmt, finden bedeutete "auf einen Pfad treten, etwas antreffen".

In der Bibel gibt es im übrigen nicht nur die berühmte Stelle aus der Bergpredigt. Sucht man auf einer CD-ROM mit der "Multimedia-Bibel", findet man 33 Stellen, in denen suchen und finden gemeinsam auftreten, davon 16mal im Zusammenhang suchen und nicht finden.

Auch in Anfängen der Literatur, in der Artus-Sage, sind die Ritter der Tafelrunde auf der Suche nach dem heiligen Gral, dem Becher, den Jesus seinen Jüngern beim Abendmahl reichte. Gefunden hatten den heiligen Gral angeblich die Tempelritter und damit allerhand teuflisches Zauberwerk betrieben – ein vorgeschobener Grund der Inquisition für einen ihrer vielen Justizmorde.

Es kann aber auch vorkommen, daß man nicht das findet, was man sucht, sondern etwas ganz anderes. Das bekannteste Beispiel ist wohl Kolumbus, der den Seeweg nach Indien suchte, aber Amerika fand. Und Atréju in Michael Endes "Unendlicher Geschichte" begab sich auf die "große Suche" nach dem Retter Phantásiens. Dieser Retter war aber nicht der erwartete strahlende Held, sondern der kleine, dickliche, unsportliche Bastian Balthasar Bux.

Mit der Buchkultur und dem Bibliothekswesen bahnte sich am Beginn der Neuzeit die Informationsgesellschaft an, die mit der Computerisierung eine neue Qualität erreicht hat. Die Überlebenskunst besteht heute zu einem großen Teil darin, Informationen zu suchen, zu finden und zu bewerten. Dabei können Computer helfen: Algorithmen zum Sortieren und Suchen gehören seit langem zur Kerninformatik. Diese "klassischen" Algorithmen beziehen sich aber auf einen eingegrenzten, möglichst einheitlich formatierten Datenvorrat, der auf einem einzigen Computer zur Verfügung steht.

Anfang 1989 wurde in Genf ein neues Kapitel beim Suchen und Finden aufgeschlagen: Angehörige des CERN wollten sich nicht länger damit abfinden, daß die vielfältigen forschungsbezogenen Daten wegen der Inkompabilität der Hard- und Software nur auf dem jeweiligen Rechnersystem zur Verfügung stehen sollten. Das Auffinden und der Austausch relevanter Informationen innerhalb der Organisation CERN war nahezu unmöglich geworden. Als Lösung dieses Problems schlugen Tim Berners-Lee und Robert Cailliau ein auf Client/Server-Architektur aufbauendes, hypertextbasiertes System vor: das World Wide Web (WWW).

Das WWW ist inzwischen zur größten offenen Informationssammlung der Welt geworden. Damit ist es mit der Beschaulichkeit des Internet, das sich 25 Jahre lang im universitären Bereich relativ ruhig entwickelt hatte, endgültig vorbei. "Surfen" im Internet (womit eigentlich das WWW gemeint ist) ist in den letzten fünf Jahren in Mode gekommen. Dies führte u.a. dazu, daß das WWW als Werbemedium und Statussymbol entdeckt wurde. Keine Firma oder Organisation, die etwas auf sich hält, kann auf ihre Präsenz im Internet verzichten; WWW-Adressen zieren fast jede Anzeige. Und im Internet wird man mit mindestens so viel Werbung wie im Privatfernsehen und in den Illustrierten "beglückt".

Ironischerweise hat das WWW aufgrund dieser Entwicklungen das Auffinden relevanter Informationen nicht nur vereinfacht, wie es den Pionieren vom CERN vorgeschwebt hat, sondern gleichzeitig auch erschwert:

Die technische Hürde, Web-Seiten ins Netz zu stellen, ist relativ niedrig. So erfreulich einerseits dieser demokratische Zug des WWW ist, hat es andererseits zur Folge, daß sich dort auch viel Informationsmüll findet.
Die schiere Informationsmenge und die hohe Änderungsrate machen es unmöglich, ohne Hilfsmittel auch nur die für ein Thema relevanten Seiten zu überblicken.
Die Sprache des WWW, HTML, ist nicht so konstruiert worden, daß das Auffinden von Informationen erleichtert würde. Erst in späteren Versionen wurden hierfür z.B. Meta-Tags eingeführt – ihre Verwendung hängt jedoch von der Disziplin des Web-Autors ab.
Auch die Kataloge, Suchmaschinen und Meta-Suchmaschinen führen nicht automatisch zum Erfolg einer Recherche: Häufig erhält man keine oder viel zu viele Informationen.

Die sinnvolle Nutzung dieses neuen Mediums muß also erlernt werden – sicherlich eine wichtige, neue Aufgabe der informatischen Bildung. Hierzu sind Wissen über die Informationsdarstellung im Netz und Erfahrung im Umgang mit verschiedenen Suchstrategien bzw. Programmen zur Unterstützung der Suche nötig. Hintergründe und Anregungen zum Unterricht bietet das vorliegende LOG IN in großem Umfang.

Der oben erwähnte Antiheld Bastian aus der unendlichen Geschichte lehrt uns, daß die Suche immer weiter geht. Im zweiten Teil des Buches sucht er nach seinem "wahren Willen", dem Sinn und Ziel seines Lebens. Und wenn man Suchen in diesem Sinn versteht, sind sicherlich die meisten Menschen Sucher und die wenigsten Finder.

Helmut Witten